Begutachtete Artikel in FachzeitschriftenPrävalenz von Infertilität und Nutzung der Reproduktionsmedizin in Deutschland
Passet-Wittig, Jasmin; Schneider, Norbert F.; Letzel, Stephan; Schuhrke, Bettina; Seufert, Rudolph; Zier, Ulrike; Münster, Eva (2016)
Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 13(3): 80–90
Hintergrund: In Deutschland wissen wir im Vergleich zu anderen Ländern nur sehr wenig über die Verbreitung von Infertilität und die Inanspruchnahme der Reproduktionsmedizin bei Frauen und insbesondere bei Männern. Dabei sind aufgrund des anhaltenden Aufschubs von Geburten im Lebensverlauf immer mehr Personen betroffen und müssen sich mit dem Thema Infertilität und ihren Handlungsoptionen auseinandersetzen.
Ziele: Der Beitrag verfolgt 3 Ziele: (1.) Berechnung von Punktprävalenzen von Infertilität; (2.) Analyse des Infertilitätsrisikos in soziodemographischen Gruppen; (3.) Untersuchung von Unterschieden zwischen der Grundgesamtheit von Infertilität Betroffener und Nutzern der Reproduktionsmedizin.
Methoden: Die Punktprävalenzen und die Analyse des Infertilitätsrisikos basieren auf den repräsentativen Daten des deutschen Beziehungs- und Familienpanels (pairfam, Welle 5) für 2 demographisch relevante Geburtskohorten (1971–1973, n = 2293; 1981–1983, n = 2554). Für den Vergleich mit Personen am Anfang einer Kinderwunschbehandlung werden zudem die Daten einer Befragung von Paaren am Anfang einer Kinderwunschbehandlung (PinK-Studie, n = 565) verwendet. Als infertil sind Personen definiert, die zum Zeitpunkt der Befragung mehr als 12 Monate erfolglos versucht haben, ein Kind zu zeugen oder sich selbst und/oder ihren Partner als unfruchtbar einschätzen und einen Kinderwunsch haben. Die Infertilitätsprävalenz ist der Anteil Betroffener an allen Frauen und Männern.
Ergebnisse: Die Infertilitätsprävalenzen unterscheiden sich nach Geschlecht nur geringfügig (Frauen: 7,5 %; Männer 6,5 %). Eltern sind seltener von Infertilität betroffen als Kinderlose; 1981–1983 Geborene mit hoher Bildung seltener als jene mit niedriger Bildung. Zudem sind junge verheiratete Frauen häufiger betroffen als Unverheiratete. Im Vergleich zur Population der von Infertilität Betroffenen finden sich 4 Personengruppen besonders häufig in Kinderwunschbehandlung: 1981–1983 Geborene, Kinderlose, Verheiratete sowie in Vollzeit erwerbstätige Frauen. Jene in Behandlung bewerten das Lebensziel Elternschaft höher als die Grundgesamtheit aller von Infertilität Betroffenen.
Schlussfolgerung: Die Untersuchung liefert aktuelle Zahlen zur Punktprävalenz von Infertilität. Aus dem Vergleich der Population Infertiler mit den Personen in Kinderwunschbehandlung ergeben sich Hinweise auf soziale Selektion in die Behandlung. Es ist anzunehmen, dass Regelungen zur Kostenübernahme in der gesetzlichen Krankenkasse hierbei eine Rolle spielen.