Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

HerausgeberschaftenFamilienleitbilder in Deutschland. Kulturelle Vorstellungen zu Partnerschaft, Elternschaft und Familienleben

Schneider, Norbert F.; Diabaté, Sabine; Ruckdeschel, Kerstin (Hrsg.) (2015)

Beiträge zur Bevölkerungswissenschaft 48. Opladen, Berlin, Toronto: Barbara Budrich

Welche kulturellen Leitvorstellungen zum Familienleben existieren in Deutschland? Was gilt als „normal“, als wünschenswert und als abweichend und wie beeinflussen diese Vorstellungen die Familiengründung und das Familienleben? Diese Fragen stehen im Fokus der Beiträge, die in diesem Band versammelt sind und in denen die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der Familienleitbilder in Deutschland identifiziert wird. Damit leistet dieses Buch einen wichtigen Erklärungsbeitrag zum kulturellen Verständnis demografischer Prozesse. Aus den Ergebnissen der Studie werden Empfehlungen für die künftige Forschung und für die Familienpolitik abgeleitet, um den Vorstellungen junger Menschen in Deutschland besser gerecht werden zu können.

Zusammenfassungen

Familienleitbilder: Ein theoretisches Konzept

Detlev Lück & Sabine Diabaté

In diesem Beitrag wird das theoretische Fundament des Leitbildkonzeptes dargestellt, auf dem die folgenden Beiträge aufbauen. Unter einem Leitbild verstehen wir „ein Bündel aus kollektiv geteilten bildhaften Vorstellungen des ‚Normalen‘, das heißt von etwas Erstrebenswertem, sozial Erwünschtem und/oder mutmaßlich weit Verbreitetem, also Selbstverständlichem.“ Damit vereinigen Leitbilder in sich Eigenschaften von Werten, Normen und Frames. Sie sind komplexe Visualisierungen, die Menschen als Orientierung dienen. Leitbilder können als persönliche Leitbilder auf individueller Ebene vorgefunden werden, sie existieren aber auch als kulturelle Leitbilder auf der Meso- und Makro-Ebene, da sie intersubjektiv geteilt werden und für bestimmte Kollektive charakteristisch sind. In der Gesamtgesellschaft ist demnach eine gewisse Homogenität, innerhalb bestimmter sozialer Milieus, Generationen und Regionen ist eine graduell stärkere Homogenität individueller Leitbilder zu erwarten. Dennoch sind kulturelle Leitbilder nicht durch die Summe der individuellen Leitbilder innerhalb einer Gesellschaft bestimmt, sondern gewinnen durch Institutionalisierung eine eigene, unabhängige, sozial reproduzierte Realität. Manifestationen kultureller Leitbilder, die mit standardisierten Erhebungsinstrumenten erfassbar sind, können unter anderem in der statistischen Aggregation individueller Leitbilder sowie in der individuellen Wahrnehmung dessen gesehen werden, wie das in der Gesellschaft mehrheitlich verbreitete Leitbild aussieht.

Zur Messung von Familienleitbildern: Studiendesign und Operationalisierung

Detlev Lück, Robert Naderi & Kerstin Ruckdeschel

Mit der Studie Familienleitbilder (FLB) 2012 wurden persönliche und gesellschaftliche Leitbilder standardisiert erfasst. Dafür wurden neue Items konstruiert, die individuelle Vorstellungen davon messen, wie Familienleben normalerweise oder idealerweise aussieht, und die sich zu Leitbildern aggregieren lassen. Zusätzlich wurde ein Zugang geschaffen, um gesellschaftliche Leitbilder standardisiert zu erfassen. Dazu wurden die einzelnen Befragten aufgefordert, einzuschätzen, wie „die Allgemeinheit“ die Items beantworten würde, die sie zuvor persönlich beantwortet hatten. Die meisten Items auf persönlicher Ebene wurden in diesem Sinne für die gesellschaftliche Ebene „gespiegelt“. Die Qualität der Daten wurde durch verschiedene Kontrollmaßnahmen sowie durch Vor- und Nachuntersuchungen sichergestellt. Das Konzept hat sich dabei als valide erwiesen.

Gesellschaftliche Leitbilder: Herkunft und Einflussfaktoren

Nadine Gies & Dorothee Dietrich

Der Beitrag gibt eine kurze Einführung in den theoretischen Hintergrund der Analyse kollektiver Leitbilder und der öffentlichen Meinung sowie in das methodische Vorgehen des Zusatzmoduls, welches zur Validierung des Konstrukts „Allgemeinheit“ in den Fragebogen implementiert wurde. Dabei wird gezeigt, welche Orientierungsgeber den kollektiven Familienleitbildern überhaupt zugrunde liegen und welche Faktoren dabei die größte Bedeutung haben. Zudem ist von Interesse, wie sich einzelne Gruppen von Befragten in ihren Vorstellungen voneinander unterscheiden und welche persönlichen Eigenschaften einen Einfluss auf das Antwortverhalten ausüben. Das Zusatzmodul der Studie „Familienleitbilder“ des BiB liefert nicht nur Angaben darüber, welche kulturellen und individuellen Leitbilder zur Familie in der Gesellschaft verbreitet sind, sondern kann darüber hinaus zeigen, von welchen Faktoren diese Idealvorstellungen abhängen. Insgesamt zeigt sich, dass Familienleitbilder aus Sicht der Befragten vor allem von Personen des direkten und weiteren persönlichen Umfeldes beeinflusst werden und man sich weniger an Institutionen orientiert.

Was ist Familie? Familienleitbilder und ihre Vielfalt

Detlev Lück & Kerstin Ruckdeschel

Hinsichtlich der Frage, was eine Familie sei, haben die Menschen ein im Kern einheitliches und in seiner äußeren Abgrenzung sehr heterogenes Leitbild. Anhand von vorgegebenen Lebensformen, für die Befragungsteilnehmer der Studie Familienleitbilder (FLB) 2012 angeben sollten, ob es sich dabei jeweils um eine Familie handele, stimmen nahezu alle Befragten zu, dass eine Kernfamilie, bestehend aus einem zusammenwohnenden heterosexuellen Paar mit Kindern, eine Familie sei. Die Beurteilung der übrigen Lebensformen scheint sich an ihrer Ähnlichkeit zur Kernfamilie zu orientieren. Allerdings gelten für die meisten Menschen auch viele nichtkonventionelle (das heißt von der Kernfamilie abweichende) Lebensformen als Familie, vor allem dann, wenn Kinder darin leben. Ein knappes Drittel sieht in jeder Lebensgemeinschaft eine Familie, auch ohne Kinder und ohne Trauschein. Die Bewertung variiert nach der sozialen Lage der Befragten. Außerdem neigen Menschen dazu, die Lebensform, in der sie selbst leben, eher als Familie wahrzunehmen, als andere Menschen dies tun.

Partnerschaftsleitbilder heute: Zwischen Fusion und Assoziation

Sabine Diabaté

Der Beitrag präsentiert Auswertungen der Erhebung „Familienleitbilder in Deutschland“ und fokussiert hierbei auf partnerschaftsbezogene Idealvorstellungen. Im Detail geht es a) um die Verbreitung bestimmter Normalitätsvorstellungen von Partnerschaft unter der jüngeren deutschen Bevölkerung, b) um die Antizipation gesellschaftlicher Partnerschaftsnormen und die Divergenzen zwischen den antizipierten gesellschaftlichen und den subjektivindividuellen Vorstellungen sowie c) um die Korrelation der subjektiven Partnerschaftsvorstellungen und die daraus ableitbare Bündelung zu bestimmten Typen von Partnerschaftsleitbildern mithilfe von Hauptkomponentenanalysen. Es bestätigt sich die Annahme, dass junge Menschen eher assoziativ-orientierte Vorstellungen vertreten und ein optimistisch anmutendes Bild von Partnerschaft haben. Es zeigt sich aber auch, dass die öffentliche Meinung insgesamt etwas konventioneller wahrgenommen und in der Gesellschaft ein eher instabileres pessimistisches Bild von Partnerschaft gesehen wird. Zudem gibt es einige Vorstellungen, die bei vielen jungen Erwachsenen sowohl individuell, als auch gesellschaftlich als gültig eingestuft werden: Zum Beispiel finden Menschen laut einem Großteil der Befragten nur in festen und stabilen Partnerschaften ihr Glück. Gegenseitige Liebe, erfüllte Sexualität, Freiraum lassen und finanzielle Absicherung bilden ein in der jungen Bevölkerung weit verbreitetes Werte-Fundament an Leitbildelementen für das Funktionieren einer Partnerschaft. Es konnten Partnerschaftsleitbilder identifiziert werden, die als assoziativ-modern, fusionsorientiert, bürgerlich-konventionell und als eheablehnend instabil bezeichnet werden.

Moderne oder traditionelle Partnerschaftsleitbilder: Welchen Einfluss haben Konfession und Religiosität?

Robert Naderi

Vorstellungen zur Partnerschaft auf individueller Ebene, sei es die Frage, ob man verheiratet sein will, oder welche Arbeitsteilung im Haushalt präferiert wird, sind zweifellos nicht nur durch persönliche Erfahrungen gewachsen, sondern in verschiedener Weise auch institutionell sozialisiert. Naheliegend ist hier vor allem die normative Wirkung der Religion, mit der sich ein Mensch identifiziert. In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Zugehörigkeit zu einer spezifischen Konfession beziehungsweise Konfessionslosigkeit und die selbst eingeschätzte Religiosität Zusammenhänge mit der persönlichen Haltung gegenüber verschiedenen Aspekten der Partnerschaft aufweisen. Hierfür wird der vom BiB erhobene Survey zu Familienleitbildern in Deutschland analysiert. Hinter dieser Fragestellung steht die These, dass je nach Religionszugehörigkeit und bei einer stärker ausgeprägten Religiosität, häufiger traditionelle Vorstellungen zur Partnerschaft vorliegen. Für die Analyse wurden verschiedene Items zu einem Index zusammengefasst und nach einer Dichotomisierung als abhängige Variable in einer logistischen Regression verwendet. Die Ergebnisse zeigen einen Zusammenhang zwischen Partnerschaftsleitbildern und der Religiosität beziehungsweise Konfessionszugehörigkeit. Zudem deuten sie darauf hin, dass sie wichtiger für die Erklärung der Hinwendung zu einem traditionellerem Partnerschaftsleitbild sind als andere wichtige individuelle Merkmale. Ob die Konfessionszugehörigkeit oder die Religiosität wichtiger ist, hängt von der jeweiligen Konfession ab.

Leitbild und Kinderlosigkeit: Kulturelle Vorstellungen zum Leben ohne Kinder

Jürgen Dorbritz & Sabine Diabaté

In Deutschland befindet sich die Kinderlosigkeit seit längerem auf einem sehr hohen Niveau. Bekannt ist, dass Zeit-, Geld- und Strukturprobleme dazu beitragen, dass weniger Kinder geboren werden. In dem vorgelegten Beitrag soll untersucht werden, welche kulturellen Leitbilder zur Kinderlosigkeit existieren und wie diese mit verschiedenen sozialstrukturellen Faktoren zusammenhängen. Dazu wurden neben dem Kinderwunsch auch die Gründe der Kinderlosigkeit und die soziale Akzeptanz von Kinderlosigkeit untersucht. Festgestellt wurde, dass Kinderlosigkeit in Deutschland als akzeptiert gilt und Sanktionen gegenüber Kinderlosen keine Mehrheit finden. Trotz breiter Akzeptanz der Kinderlosigkeit konnte in der Altersgruppe der 20- bis 39-Jährigen nur eine kleine Gruppe identifiziert werden, die keine Kinder und auch keinen Kinderwunsch hat. Es wurden zwei Leitbilder gefunden, die die Kinderlosigkeit in Deutschland aus Sicht der Befragten erklären: Erstens das Leitbild der risikovermeidenden Elternschaft. Darin sind Sorgen enthalten, den Kindern in der Zukunft nicht genug bieten zu können, den hohen Erziehungsanforderungen nicht gerecht zu werden und die Alltagsbelastungen nicht bewältigen zu können. Zweitens das Leitbild der autonomiebetonten Kinderlosigkeit. Darin sind Selbstbestimmung und Autonomie der Kinderlosen betont, die ihre private Freiheit genießen und sich auf die berufliche Karriere konzentrieren können.

Heirat, Haus, Kinder? Leitbilder der Familiengründung und der Familienerweiterung

Jürgen Dorbritz & Kerstin Ruckdeschel

Die familiendemografische Situation in Deutschland ist durch einen späteren Beginn und damit eine Verkürzung der reproduktiven Lebensphase, einen Verzicht auf Familienerweiterung oder -gründung und eine noch immer enge Verknüpfung von Ehe und Familienerweiterung gekennzeichnet. In diesem demografischen Kontext werden in dem folgenden Beitrag der Beginn und der Verlauf der Familiengründung anhand der Gründe für die Geburt von Kindern, der idealen Kinderzahl und des idealen Alters für die Geburt des ersten Kindes betrachtet. Dabei wurde das Leitbild der Selbstverständlichkeit des Kinderhabens formuliert, da trotz aller Diskussionen um den Wandel der Familie in Deutschland Kinder zu haben immer och als etwas ganz Normales angesehen wird. Im Leitbild der idealen Familiengröße übersteigen die gemessenen idealen Kinderwünsche den Wert zwei. Begrenzend auf den idealen Kinderwunsch wirken hohe persönliche Ansprüche an die materielle Sicherung, die erfüllt sein müssen, um sich für die Geburt eines Kindes zu entscheiden, weshalb auf dieser Basis das Leitbild der materiell gesicherten Elternschaft formuliert wurde. Als bemerkenswert ist hervorzuheben, dass das benannte ideale Alter für die Geburt eines Kindes niedriger ist als das tatsächliche Erstgebäralter. Frühe und späte Geburten vor dem 20. beziehungsweise bereits nach dem 35. Lebensjahr werden kaum akzeptiert. Insgesamt lassen sich vier Familiengründungstypen unterscheiden, die sich nach ihren Ansprüchen an die materielle Sicherung einer Familiengründung und nach der Bedeutung der beruflichen Eigenständigkeit der Frau unterscheiden. Während die materiellen Ansprüche den Kinderwunsch direkt senken, geschieht dies bei der Forderung nach beruflicher Eigenständigkeit der Frau vermittelt über ein höheres ideales Familiengründungsalter, das wiederum den Kinderwunsch senkt.

Mütter in Ost- und Westdeutschland: Wie wichtig sind regionalspezifische Leitbilder für Elternschaft?

Katrin Schiefer & Robert Naderi

Wie die Forschungsergebnisse und Zahlen zum generativen Verhalten belegen, lassen sich nach wie vor Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen identifizieren – die allerdings nicht zwangsläufig nur auf die unterschiedliche Regimetradition zurückgeführt werden können. Es stellt sich deshalb die Frage, welche Faktoren hier zum Tragen kommen. Es wird vermutet, dass neben sozioökomischen Rahmenbedingungen auch die kulturelle Prägung der Bürger eine Rolle spielt. Ziel dieses Beitrages ist es, den kulturellen Verankerungen anhand der jeweiligen Leitbilder zur Bedeutung eigener Kinder sowie zu vermuteten Anforderungen an eine Elternschaft nachzugehen und diese dabei mit anderen relevanten Variablen zur Sozialisation, zur Partnerschaft und zur sozioökonomischen Lage zu vergleichen. Hierzu wird die Kinderlosigkeit im Verhältnis zur Elternschaft als besonders auffällige Merkmale der Fertilitätsunterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern betrachtet. Erstere ist im Westen nach wie vor stärker ausgeprägt, die zusammengefasste Geburtenziffer (TFR) ist aber insgesamt in beiden Regionen nahezu gleich niedrig. In Bezug auf die betrachteten Facetten von Leitbildern zeigen sich vor allem bei der Wichtigkeit eigener Kinder sowie der Kleinkindbetreuung erhebliche Ost-West-Unterschiede. Mittels logistischer Regressionsmodelle wird untersucht, welchen Einfluss die familienbezogenen Leitbilder im Vergleich zu anderen Faktoren auf eine Elternschaft haben. Die Ergebnisse belegen unter anderem, dass Leitbilder im Westen Deutschlands eine in etwa gleich hohe Erklärungskraft aufweisen wie individuelle, sozioökonomische Rahmenbedingungen – im Osten sind sie wichtiger als alle anderen möglichen Faktoren.

Familie XXL: Leitbild Kinderreichtum?

Sabine Diabaté, Kerstin Ruckdeschel, Jürgen Dorbritz & Linda Lux

Kinderreiche Familien sind in Deutschland zu einer immer kleineren Gruppe geworden. Die Sichtweisen auf die Familien mit drei oder mehr Kindern sind ambivalent: Einerseits werden aus der individuellen Sicht viele Kinder als etwas ganz Wundervolles gesehen. Andererseits wird in der Gesellschaft ein negatives Image gegenüber Großfamilien wahrgenommen. Dies kann mit den hohen und teilweise überfrachteten Erwartungen an die Elternrolle erklärt werden. Dabei entstehen Ängste, den individuellen und gesellschaftlichen Ansprüchen an eine „ideale“ Elternschaft nicht gerecht werden zu können, wodurch die Entscheidung für eine Familiengründung oder -erweiterung erschwert werden könnte. Von den Kinderreichen wird außerdem angenommen, dass sie zu wenig Zeit und Geld für jedes ihrer Kinder aufbringen können und damit die Normen des Leitbildes der Verantworteten Elternschaft verletzt werden. Bezüglich des Kinderreichtums konnten drei gesellschaftlich wahrgenommene Leitbilder identifiziert werden. Das erste wurde mit dem Begriff der Distanz gegenüber Kinderreichen bezeichnet. Bestandteile sind eine negative Sicht auf Kinder, die Einstellung, mehrere Kinder sollten nur die haben, die es sich leisten können, das Empfinden, dass Kinderreiche „asozial“ sind und die Überzeugung, dass in kinderreichen Familien die Kinder nicht genügend Aufmerksamkeit erhalten. Ein zweites Leitbild bringt eine gemischtgeschlechtliche Geschwisterorientierung zum Ausdruck. Ein weiteres Kind wird angestrebt, da das erste kein Einzelkind bleiben und das Geschwisterkind ein anderes Geschlecht haben soll, ein Stammhalter erwünscht ist und/oder die Öffentlichkeit positiv reagiert, wenn zu einer Familie Mädchen und Jungen gehören. Ein drittes Leitbild entspricht einem positiv konnotiertem Kinderreichtum: Viele Kinder werden als etwas Wundervolles gesehen und von der Allgemeinheit wird angenommen, dass Kinder zu haben als sehr wichtig angesehen wird.

Verantwortete Elternschaft: „Für die Kinder nur das Beste“

Kerstin Ruckdeschel

Das Leitbild Verantwortete Elternschaft ist in Deutschland stark präsent und prägt die Vorstellungen von Elternschaft. In diesem Leitbild findet sich einerseits das Fördergebot, das heißt Kinder sollten beim Aufwachsen intensiv begleitet werden, sie werden also nicht „von alleine groß“. Diese Leitbilddimension findet individuell breite Zustimmung und wird auch in der Gesellschaft häufig wahrgenommen. Sie verbindet verschiedenste Elterntypen und wird als gesellschaftlicher Anspruch an Eltern empfunden. Insgesamt kann von einem stark in der Gesellschaft verankerten Leitbildbestandteil gesprochen werden. Auf der anderen Seite steht das Gebot der Mutternähe und Aufopferung, das Fremdbetreuung von unter 3-Jährigen ablehnt und die Rückstellung eigener Bedürfnisse hinter die des Kindes fordert. Diese Leitbilddimension differiert sowohl zwischen individueller und gesellschaftlicher Ebene als auch zwischen einzelnen gesellschaftlichen Subpopulationen. Dabei werden die Ansprüche vor allem als gesellschaftliche Erwartungen wahrgenommen, die auf individueller Ebene aber überwiegend abgelehnt werden. Eltern, die vor allem das Fördergebot bejahen, stellen die größte Gruppe dar, gefolgt von Eltern, die zusätzlich eine Kinderbetreuung innerhalb der Familie einer externen vorziehen. Die beiden extremen Typen, das heißt Eltern, die dem Leitbild der Verantworteten Elternschaft sehr distanziert gegenüberstehen genauso wie diejenigen, die es in allen seinen Aspekten bejahen, sind ebenfalls relativ stark vertreten.

Mutterleitbilder: Spagat zwischen Autonomie und Aufopferung

Sabine Diabaté

Mutterleitbilder sind in der empirischen Sozialforschung in Deutschland eher selten untersucht worden, eine Analyse mit quantitativen und repräsentativen Daten steht bislang aus. Ziel dieses Beitrags ist die Identifikation und Beschreibung von Leitbildern zur Mutterschaft in Deutschland. Des Weiteren soll untersucht werden, welche Mutterleitbilder auf individueller und gesellschaftlicher Ebene existieren und wie diese inhaltlich ausgestaltet sind. Die Ergebnisse spiegeln den hohen Qualitätsanspruch an Mütter, die sowohl die Erziehung („Fürsorge“) als auch ihre „Selbstsorge“ parallel als zentrale Lebensziele verfolgen sollen. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass das allgemein als vorherrschend wahrgenommene Mutterleitbild aufgrund der Widersprüchlichkeit und Komplexität der Anforderungen besonders in Westdeutschland überfrachtet erscheint. Bei der hauptkomponenten- und indexbasierten Typisierung kristallisierten sich vier Mutterleitbilder heraus, die gegenwärtig in Deutschland bei den 20- bis 39-Jährigen existieren. Es wurden zwei Reintypen, das berufs- und das kindorientierte Mutterleitbild sowie zwei Mischtypen, das moderate und das vereinbarkeitsorientierte Mutterleitbild identifiziert. Auch eine stärkere Kindorientierung bei in Westdeutschland lebenden Personen zeigte sich. Interessanterweise hängen vor allem die kind- und berufsorientierten Mutterleitbilder eng mit dem Lebensmodell der Mütter der Befragten zusammen. Hierbei erscheinen unter anderem die gesellschaftlichen Systeme (alte versus neue Bundesländer) prägend, in denen die Mütter sozialisiert wurden und die in die nachfolgende Generation der Befragten hineinwirken.

Vaterleitbilder: Ernährer und Erzieher?

Detlev Lück

Unter den Vorstellungen, wie ein Vater sein sollte, lassen sich zwei Leitbilder entdecken: zum einen das des „Familienernährers“, der für das Bestreiten des Haushaltseinkommens Verantwortung übernimmt und Familienarbeit der Mutter überlässt. Dieses Leitbild ist auf gesellschaftlicher Ebene relevant: als Vorstellung davon, was anderen denken. Zum zweiten lässt sich das Leitbild des „aktiven Vaters“ identifizieren, der seine Erwerbsarbeit reduziert und sich aktiv in die Erziehung einbringt. Dieses ist unter den persönlichen Leitbildern dominant. Daneben gibt es eine relevante Gruppe, die beide Leitbilder verinnerlicht hat und sich vereinbarkeitsorientiert zeigt. Ungeachtet gesellschaftsweit ähnlicher Größenordnungen sind bestimmte Vaterleitbilder in bestimmten Teilen der Gesellschaft graduell stärker verbreitet. Das Leitbild des „aktiven Vaters“ ist in Ostdeutschland, im akademischen Milieu sowie unter Konfessionslosen besonders häufig; das des „Familienernährers“ ist charakteristisch für Frauen, niedrig Gebildete, Protestanten und religiöse Menschen. Das vereinbarkeitsorientierte Leitbild ist typisch für Männer, niedrig Gebildete und Katholiken. Genau genommen ist das Leitbild des „aktiven Vaters“ mit kinderlosen Frauen assoziiert und das vereinbarkeitsorientierte Leitbild mit kinderlosen Männern, die somit zur Selbstüberforderung neigen. Für Väter und Mütter gelten diese Charakteristika kaum, so dass von einer Desillusionierung im Zuge der Familiengründung auszugehen ist.

Leitbilder der Elternschaft: Zwischen Kindeswohl und fairer Aufgabenteilung

Sabine Diabaté, Detlev Lück & Norbert F. Schneider

Die Vorstellungen, wie Elternschaft idealerweise gestaltet werden sollte, sind vielfältig. Mit den Daten der Familienleitbildstudie (FLB) konnten mittels Hauptkomponentenanalyse auf individueller wie auf gesellschaftlicher Ebene jeweils zwei Elternschaftsleitbilder identifiziert werden: Im Kern des einen Leitbildes steht die Vorstellung einer komplementären Geschlechterrollenteilung der Eltern (Leitbild der komplementären Elternrollen), verbunden mit der Ablehnung externer Kinderbetreuung. Das andere Leitbild ist durch reduziertes berufliches Engagement des Vaters bei hohen Ansprüchen an eine verantwortete Elternschaft gekennzeichnet (Leitbild der kindzentrierten Erziehungsarbeit). Während die Verbreitung der Elternschaftsleitbilder auf individueller Ebene sozialstrukturell durchaus variiert, bestehen bei den gesellschaftlich wahrgenommenen Leitbildern diese Unterschiede nicht. Sowohl im Hinblick auf individuelle wie auf gesellschaftliche Leitbilder ist das auf einer stärkeren Väterbeteiligung in der Erziehung basierende Leitbild weiter verbreitet. Festzustellen ist jedoch auch, dass die Elternschaftsleitbilder ambivalent und widersprüchlich sind. Rund die Hälfte der 20- bis 39-Jährigen stimmt entweder beiden oder keinem der beiden Leitbilder zu. Beim Abgleich zwischen Leitbild und faktischer Lebensrealität zeichnet sich eine Tendenz ab, dass Menschen Leitbild und reale Ausgestaltung der Elternschaft in Einklang bringen. Allerdings lebt auch ein relevanter Teil nicht konform mit dem eigenen Leitbild.

Leitbildforschung: Befunde, Potenziale und Impulse

Sabine Diabaté, Kerstin Ruckdeschel & Norbert F. Schneider

In diesem Beitrag werden die theoretischen Eckpfeiler der Leitbildstudie sowie deren zentrale Ergebnisse erläutert und zusammengefasst. Zudem werden die Potenziale und Grenzen der Leitbildforschung diskutiert, vor allem im Hinblick auf die wissenschaftliche Erklärung von generativen Handlungen und die Gestaltung des Familienlebens. Aus den Befunden werden abschließend Impulse für die politische Debatte abgeleitet. Die Studie hat gezeigt, dass familiäre Beziehungen, Partnerschaften und eigene Kinder bei den meisten 20- bis 39-Jährigen eine hohe Wertschätzung erfahren und eine breite Anerkennung für die vielfältigen Lebensformen in Deutschland existiert. Vier Kernaussagen lassen sich aus den Befunden ableiten: (1) Pluralität: Zu vielen Aspekten des Familienlebens gibt es zwar vorherrschende, aber keine einheitlichen Leitbilder in der Gesellschaft. (2) Diskrepanz: Die Befragten nehmen in der Gesellschaft konservativere Leitbilder wahr, als die, denen sie persönlich folgen (möchten). (3) Mismatch: Elterliche Leitbilder und Alltagspraxis sind häufig widersprüchlich. (4) Verantwortete Elternschaft: Das Leitbild der „Verantworteten Elternschaft“ erhöht die Opportunitätskosten für Elternschaft, leistet einer Ablehnung von externer Kinderbetreuung Vorschub, und begünstigt dadurch den Aufschub oder sogar die Ablehnung der Familiengründung. Insgesamt geht von diesem Leitbild ein ungünstiger Impuls für die Geburtenentwicklung in Deutschland aus.

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