Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Begutachtete Artikel in FachzeitschriftenÜberschuldung und Zuzahlungen im deutschen Gesundheitssystem

Benachteiligung bei Ausgabenarmut

Münster, Eva; Rüger, Heiko; Ochsmann, Elke; Alsmann, Christine; Letzel, Stephan (2010)

Das Gesundheitswesen 72(2): 67–76

DOI: 10.1055/s-0029-1214397

Die Anzahl überschuldeter Privathaushalte in Deutschland stieg in Vergangenheit stetig an und wird derzeit auf 3,13 Millionen geschätzt. Die damit verbundenen Zahlungsschwierigkeiten bis hin zur Zahlungsunfähigkeit der Betroffenen können zu einer reduzierten Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen, die einer Zuzahlung bedürfen, führen. Erstmalig wurde untersucht, ob überschuldete Privatpersonen aufgrund ihrer finanziellen Not nicht zum Arzt gehen oder verschriebene Medikamente nicht kaufen.

Eine Querschnittsstudie an überschuldeten Privatpersonen wurde von Juli 2006 bis März 2007 in Rheinland-Pfalz durchgeführt. In Zusammenarbeit mit 53 Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in Rheinland-Pfalz und in Kooperation mit dem Schuldnerfachberatungszentrum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz wurde eine anonyme, einmalige schriftliche Befragung von Klienten der Schuldnerberatungsstellen organisiert.

Insgesamt haben 666 Personen (51,1 Prozent Frauen) im Alter zwischen 18 und 79 Jahren (Mittelwert 41,0; Standardabweichung 11,2; Median 41) bei einer Teilnahmerate von 35,5 Prozent an der ASG-Studie (Armut, Schulden und Gesundheit) teilgenommen. Die Mehrzahl der Probanden gab an, in den letzten 12 Monaten sowohl aus Geldmangel vom Arzt verschriebene Medikamente nicht gekauft (65,2 Prozent) als auch aufgrund der Schuldensituation und der 10-Euro-Selbstbeteiligung einen Arztbesuch unterlassen zu haben (60,8 Prozent). Im multivariaten binärlogistischen Endmodell erweisen sich hinsichtlich beider Zielgrößen das Alter, die Familiensituation, der Status bezüglich des Insolvenzverfahrens, vorhandene gesundheitliche Beschwerden und die eigene Einstellung zur Gesundheitsaufmerksamkeit als relevante Einflussgrößen. Schlussfolgerung: Die finanzielle Selbstbeteiligung beim Arztkontakt oder Medikamentenkauf in Deutschland kann bei überschuldeten Privatpersonen zu einer reduzierten Inanspruchnahme und damit zu einer Benachteiligung in der medizinischen Versorgung führen. Aufgrund der Zuzahlungspflichten werden gesundheitsbezogene Leistungen nicht unabhängig von den finanziellen Ressourcen eines Individuums ermöglicht, sodass besonders unter Ausgabenarmut die gesundheitliche Chancengleichheit gefährdet scheint.

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