Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

HerausgeberschaftenAuswirkungen demographischer Entwicklungen auf Sicherheitsfragen

Vorträge aus dem gleichnamigen Workshop vom 19./20. November 2007 im Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Naderi, Robert (Hrsg.) (2009)

Materialien zur Bevölkerungswissenschaft 128. Wiesbaden: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Wie wirkt sich der demographische Wandel auf die Sicherheitslage in Deutschland aus? Welchen direkten Einfluss übt er auf die äußere Sicherheit und die Streitkräfte aus? Welche Folgen werden die absehbaren Veränderungen der Altersstruktur der Bevölkerung auf die künftige Kriminalitätsentwicklung haben? Diese Fragen stehen unter anderem im Mittelpunkt der Beiträge dieses Bandes, der die Ergebnisse des BiB-Workshops vom November 2007 zum Thema „Bevölkerungsentwicklung und Sicherheit“ zusammenfasst.

So befasst sich Wolfgang Kahl in seinem Beitrag mit den Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Kriminalitätsentwicklung und die Kriminalprävention. Er kommt zu dem Schluss, dass der steigende Anteil älterer Menschen an der deutschen Bevölkerung nicht ganz ohne Auswirkungen auf deren Kriminalitätsbelastung bleibt. Dramatische Verschiebungen hin zu statistisch signifikanter Alterskriminalität sind dabei nicht zu erwarten. Allerdings steigen aus der Opferperspektive die Herausforderungen bei der Eindämmung von Gewalt gegenüber alten pflegebedürftigen Menschen sowohl im familiären Umfeld als auch in stationären Pflegeeinrichtungen. Obwohl es in diesem Bereich keine verlässlichen Daten gibt, ist bei einer Zunahme der Zahl pflegebedürftiger Menschen auch mit einer Zunahme der Gewaltphänomene in diesem Zusammenhang zu rechnen. Insgesamt zeigt sich, dass die demographische Entwicklung für die Vorhersage der künftigen Kriminalitätsentwicklung nur ein Faktor ist, da hier sehr viele gesellschaftliche Kräfte einwirken und sich diese auch verändern können. Aufgrund dieser Vielfalt der Kontextparameter und ihrer Wechselwirkungen untereinander würde der Versuch, weitreichende Szenarien zur zukünftigen Kriminalitätsentwicklung zu entwickeln, wenig Aussicht auf Zuverlässigkeit haben.

Die Auswirkungen der absehbaren Veränderungen der Altersstruktur auf die altersspezifische Ausprägung der Kriminalität untersucht Gerhard Spiess von der Universität Konstanz. Er weist darauf hin, dass sich in absoluten Zahlen der Kriminalstatistik die demographischen Verschiebungen bereits bemerkbar gemacht haben. So ging die Zunahme der registrierten Tatverdächtigen von 1993 bis 2006 um etwa 230.000 zu mehr als vier Fünftel auf die Zunahme der Zahl der Tatverdächtigen ab 40 Jahren zurück. Der Effekt des Rückgangs der Gesamtbevölkerung dürfte sich allerdings erst ab 2030 entscheidend auf das Kriminalitätsaufkommen auswirken. Vor allem in den nächsten 20 Jahren sind erhebliche Umschichtungen in der Altersstruktur der registrierten Tatverdächtigen zu erwarten: Während die Zahl der Tatverdächtigen ab 40 Jahren 1993 noch derjenigen der 18- bis unter 25-Jährigen gleich war, dürfte ihre Zahl etwa ab dem Jahr 2030 das doppelte der besonders aktiven Gruppe der 18- bis unter 25-Jährigen ausmachen.

Wie sich die Bevölkerungsentwicklung auf die zukünftige deutsche Sicherheitspolitik und die Entwicklung der deutschen Streitkräfte in Zukunft auswirken wird, analysiert Roland Kaestner. Die vorhersehbare Bevölkerungsabnahme wird in Zukunft die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dämpfen und einen Anstieg der Staatsverschuldung auslösen, der sich auch auf die Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung auswirken wird. Hinzu kommen die Folgen transnationaler Migration, die die in den europäischen Gesellschaften vorhandenen Kräfte der Desintegration noch weiter verstärken werden. Dies wirkt sich auch auf den Zusammenhalt der europäischen Integration aus, insbesondere was die innere und äußere Sicherheit der Gesellschaften angeht. Für die staatlichen Sicherheitskräfte würde dies unter anderem bedeuten, Probleme der Integration der zugewanderten Bevölkerungsteile in die Sicherheitskräfte und deren möglichen Folgen als Ergebnis von Zuwanderung lösen zu müssen.

Nach der Ansicht von Josef Schmid muss die Rolle der Bevölkerungsbewegung in der Ursachenforschung der gegenwärtigen Weltkonflikte einbezogen werden. So sind Konflikte nicht immer schlicht und eindeutig auf demographische Ursachen zurückzuführen, doch fast immer auf Konstellationen, die ohne demographische Hintergründe unverständlich bleiben. Vergleicht man die demographische Entwicklung der Erde, so trifft man auf eine gespaltene Welt und ein demographisches Gefälle, die auch die Jahrzehnte währende Entwicklungspolitik nicht beseitigen konnte. Die zentrale Frage von Innen- und Außenpolitik lautet: Wird sich dieses Gefälle Nord/Süd, Okzident/Orient jemals ausgleichen? Werden sich die Entwicklungsdifferenzen so verringern, dass auch die Gefahren, die von ihnen ausgehen, verschwinden? Da die Schwellen- und Entwicklungsländer nicht arm bleiben werden, könnte es gegen Ende des Jahrhunderts zu einem Ausgleich der Welten kommen, wobei die Faktoren, die zum Problem der Kultur- und Entwicklungsdifferenz führen, nicht beseitigt sein werden. Die Menschen außerhalb Europas werden in ihrem ethnisch-religiösen Bewusstsein nicht nachlassen und den politischen und wirtschaftlichen Aufstieg ihres Herkunftslandes auch im westlichen Zielland mit Sympathie und einem Quantum Identifikation mit ihm begleiten.

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