Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Pressemitteilung | 28.04.2021Verbliebene Ost-West-Unterschiede in der Sterblichkeit konzentrieren sich auf Männer der Wendegeneration

Neue Studie präsentiert Zahlen zur Entwicklung der Sterblichkeit im Ost-West-Vergleich erstmals detailliert nach Alter und Todesursachen.

Zum Zeitpunkt der deutschen Wiedervereinigung vor 30 Jahren bestanden zwischen Ost- und Westdeutschland erhebliche Unterschiede bei der Lebenserwartung. Bei den Männern war sie im Osten 3,4 Jahre niedriger als im Westen, bei den Frauen 2,7 Jahre. In den letzten Jahrzehnten konnten bei der Ost-West-Angleichung der Sterblichkeit insbesondere im höheren Alter Fortschritte erzielt werden. Dies trug dazu bei, dass Männer in Ostdeutschland heute nur noch etwa ein Jahr und zwei Monate hinter den westdeutschen Männern zurückliegen. Bei Frauen haben sich die Werte komplett angeglichen.

Entwicklung der Lebenserwartung von Männern und Frauen in Ost- und Westdeutschland zwischen 1980 und 2017 Lebenserwartung in Ost- und Westdeutschland nach Geschlecht, 1980–2017 Quelle: Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)

Ein aktueller Beitrag aus der Mortalitätsforschung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) im Bundesgesundheitsblatt betrachtet langfristige Entwicklungen zu Sterblichkeitsunterschieden zwischen Ost- und Westdeutschland nun erstmals detailliert nach Alter und Todesursachen. Hierfür mussten umfangreiche Datenbereinigungen vorgenommen werden, da sich die Vorgaben für die Erfassung von Todesursachen in den letzten Jahrzehnten mehrmals geändert haben.

Vor der Wiedervereinigung: Rückstände bei der medizinischen Versorgung

In den 1980er Jahren verzeichnete der Osten vor allem im höheren Alter ab 60 Jahren und dort speziell im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie z. B. Herzinfarkt und Schlaganfall, höhere Sterberaten als der Westen. Diese Unterschiede trugen zu einem Großteil zum Rückstand des Ostens bei der Lebenserwartung bei. Nach der Wiedervereinigung konnten ältere Personen – und Frauen generell – bei der Lebenserwartung relativ schnell zum Westen aufschließen. „Die zügige Verbesserung der medizinischen Versorgung wirkte sich insbesondere bei der Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen im höheren Alter positiv aus“, erläutert Dr. Michael Mühlichen, ein Mitautor der Studie.

Ostdeutsche Umbruchsphase hat in der „Wendegeneration“ Spuren hinterlassen

Im Zuge der Wiedervereinigung konnten viele Ostdeutsche von neuen Freiheiten profitieren. Allerdings ergaben sich für viele Ostdeutsche auch ökonomische und soziale Unsicherheiten, da der wirtschaftliche Umbruch teilweise mit einer langen Phase erhöhter Arbeitslosigkeit einherging. Besonders betroffen war in diesem Kontext die „Wendegeneration“, die etwa zwischen 1950 und 1970 geboren und heute im Alter zwischen 50 und 70 Jahren ist. Diese Generation erlebte den Umbruch im für das Berufs- und Familienleben sehr wichtigen jungen Erwachsenenalter. Der psychosoziale Stress, den diese Generation in besonderer Weise erfuhr, wird auch in den Todesursachen sichtbar. „Bis heute sind die Sterberaten im Zusammenhang mit Todesursachen, die auf einen gesteigerten Alkoholkonsum und Rauchen zurückzuführen sind, bei den Männern dieser Generation vergleichsweise hoch“, erklärt Dr. Mühlichen. Aktuell konzentrieren sich die verbliebenen Ost-West-Unterschiede bei der Sterblichkeit besonders auf Männer der ‚Wendegeneration‘. Die nach 1970 geborenen Männer, die zur Wendezeit zum größeren Teil noch nicht auf dem Arbeitsmarkt waren, zeigen dagegen bisher kaum Ost-West-Unterschiede. Diese Jahrgänge sind aber noch in einem Alter mit generell geringer Sterblichkeit.

Ausblick: Ost-West-Unterschiede können wieder aufbrechen

Die beobachteten Entwicklungen werfen die Frage auf, ob Ost-West-Unterschiede in der Sterblichkeit bald komplett der Vergangenheit angehören. Dr. Pavel Grigoriev, Leiter der Forschungsgruppe Mortalität am BiB, ist diesbezüglich zumindest für die mittelfristige Zukunft skeptisch: „Ostdeutschland liegt etwa bei der Arbeitslosigkeit und den Einkommen weiterhin zurück. Diese Aspekte können tendenziell zu einem ungesünderen Lebensstil beitragen.“ Er führt weiter aus, dass die lange Phase hoher struktureller Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland nach 1990 in den nächsten Jahrzehnten zudem auch zu steigenden Ost-West-Unterschieden bei der Rentenhöhe beitragen wird, was sich ebenfalls negativ auf die Entwicklung der Lebenserwartung im Vergleich zum Westen niederschlagen könne. Weiterhin belegen Studien, dass im Gegensatz zu den älteren Frauen bei den jüngeren Frauen der Anteil der Raucherinnen im Osten deutlich höher als im Westen ist. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass in der Zukunft Ost-West-Unterschiede bei der Sterblichkeit wieder zunehmen werden. „Allgemein könnten die Folgen der Teilung deutlich länger in Ost-West-Differenzen bei der Sterblichkeit sichtbar sein, als die Teilung insgesamt dauerte“, so Dr. Grigoriev.

Grigoriev, Pavel; Pechholdová, Markéta; Mühlichen, Michael; Scholz, Rembrandt D.; Klüsener, Sebastian (2021): 30 Jahre Deutsche Einheit: Errungenschaften und verbliebene Unterschiede in der Mortalitätsentwicklung nach Alter und Todesursachen. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 64(4): 481–490.

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