Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

21.04.2021 | Ergebnisse der TransFAR-StudieMigrationsentscheidungen und -verläufe im Familienkontext

Welche Rolle die Familie für die Migrationsentscheidung und für den Migrationsprozess von Zugewanderten spielt, ist kaum erforscht. Bei einer Online-Pressekonferenz des BiB und des BAMF am 21. April 2021 wurden erste Ergebnisse einer Studie zu transnationalen Familienkonstellationen und der sozialen Einbindung von Menschen aus Eritrea und Syrien in Deutschland vorgestellt.

Ziel des Projekts „Forced Migration and Transnational Family Arrangements: Eritrean and Syrian Refugees in Germany“ (TransFAR), das vom BiB und dem Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführt wird, ist es, Antworten auf die Frage zu geben, welche Rolle die Familie für die Migrationsentscheidung und für den Migrationsprozess spielt, betonte BiB-Direktor Prof. Dr. Norbert F. Schneider. Anhand zweier Zuwanderergruppen aus Eritrea und Syrien mit etwa 1.500 Männern und Frauen im Alter zwischen 18 und 45 Jahren untersucht die Studie, wie sich die jeweiligen Familienbeziehungen und familiären Konstellationen gegenwärtig gestalten, wie die Menschen sozial eingebunden und wie zufrieden sie mit ihrer aktuellen Situation sind.

Dabei fiel die Wahl auf die beiden Länder, weil sie rein numerisch zu den Ländern mit den höchsten Zuwanderungszahlen und einer sehr guten Bleibeperspektive in Deutschland gehören. So ist Eritrea nach Marokko das Land mit der zweitgrößten Herkunftsgruppe aus Afrika. Syrien ist mit knapp 790.000 Personen in Deutschland derzeit die drittgrößte Zuwanderergruppe überhaupt, sagte Prof. Dr. Schneider.

Mitschnitt der Pressekonferenz

Merkmale der Zugewanderten

In diesem Zusammenhang ist vor allem auch die Frage von Interesse, wer nach Deutschland kommt. Die Befunde der Studie zeigen unter anderem, dass die Menschen aus Eritrea im Durchschnitt einige Jahre jünger sind als jene aus Syrien. Und auch das Bildungsniveau beider Gruppen unterscheidet sich. „Mehr als die Hälfte der Zugewanderten aus Syrien hat mindestens die Hochschulreife oder einen Berufsschulabschluss, aber nur 25 Prozent derer aus Eritrea, von denen zudem 41 Prozent keinen Schulabschluss haben“, so der Familiensoziologe.

Auffällig ist, dass eritreische Frauen und Männer häufiger erwerbstätig sind als syrische. Warum dies so ist, lässt sich anhand der bisherigen Resultate (noch) nicht eindeutig beantworten.

Was sind die Motive für die Migration?

Zu den Hauptmotiven beider Gruppen gehören an erster Stelle die Flucht vor gewaltsamen Konflikten, Krieg, die Angst vor Zwangsrekrutierung oder politischer, ethnischer oder religiöser Verfolgung. „Insgesamt stellen sich die Migrationsmotive aber nicht als monokausal dar, besonders im Fall der syrischen Personen“, analysierte Prof. Dr. Schneider. So gaben in dieser Gruppe 24 Prozent neben den kriegsbezogenen Motiven auch an, in Deutschland studieren zu wollen. 58 Prozent der syrischen Frauen geben als Grund für das Verlassen Syriens aber auch an, dass sie dort keine Zukunft für ihre Kinder gesehen haben.

Für die syrischen Zugewanderten sind Migrationsmotive entscheidend, die die Familie betreffen, während bei den eritreischen Befragten die Motive eher auf der Individualebene verortet sind. „Dies hängt auch damit zusammen, mit wem und wie die Migrationsentscheidung getroffen wurde“, bestätigte BiB-Wissenschaftlerin Dr. Lenore Sauer. So wird vor allem bei den eritreischen Männern die Migrationsentscheidung eher allein getroffen, während sie bei 78 Prozent der syrischen Frauen mit anderen entschieden wurde.

Transnationale Konstellationen der erweiterten Familie

Wenn die Zugewanderten mit anderen in Deutschland ankamen, dann hauptsächlich im familiären Kontext, meist mit Partnerin oder Partner und Kindern. Nur die eritreischen Männer gaben an, meist zusammen mit Personen außerhalb der Familie in Deutschland angekommen zu sein. „Die Familienkonstellationen haben einen Einfluss darauf, wie die Menschen in Deutschland leben“, betonte Dr. Sauer. So lebt die Kernfamilie überwiegend in Deutschland. Etwa bei der Hälfte der eritreischen Männer in Partnerschaft hält sich dagegen die Partnerin im Ausland auf. Bei beiden Herkunftsgruppen lebt die erweiterte Familie dagegen eher selten in Deutschland, sondern im Ausland beziehungsweise über mehrere Länder hinweg. Die Eltern sind meistens im Herkunftsland verblieben, während die Geschwister zum Teil im Herkunftsland, aber auch in anderen Ländern leben. „Die Kernfamilie lebt eher selten transnational, bei der erweiterten Familie liegen aber durchaus transnationale Konstellationen vor. Bei den Geschwistern können wir multilokale Strukturen über drei oder mehr Länder hinweg erkennen“, sagte die Wissenschaftlerin.

Hohe Zufriedenheit mit Freundes- und Bekanntenkreis

Für das subjektive Wohlbefinden der Zugewanderten in Deutschland spielen die persönlichen Netzwerke bestehend aus familiären und außerfamiliären Bezugspersonen eine wichtige Rolle. Mit wem besprechen sie persönliche Angelegenheiten oder verbringen sie ihre Freizeit? BAMF-Wissenschaftlerin Dr. Anja Stichs zeigte anhand der Auswertung der Antworten, dass die Befragten mit ihrem Freundes- und Bekanntenkreis überwiegend sehr zufrieden sind. Auffällig ist allerdings, dass die syrischen Zugewanderten mehr soziale Kontakte in ihrem Netzwerk haben als die eritreischen. Dabei leben fast alle Bezugspersonen aller Gruppen in Deutschland. „Besonders in den ersten Jahren nach der Einreise ist das Netzwerk sehr eng“, analysierte Dr. Stichs. Interessanterweise ist gerade bei den eritreischen Männern, die nicht das größte Netzwerk haben, die Zufriedenheit sehr hoch. Dies belegt, dass nicht nur die Größe, sondern auch die Qualität des Netzwerks zur Zufriedenheit beiträgt.

Besonders zufrieden sind Personen, die auch Nichtverwandte in ihrem Netzwerk haben. Die Zufriedenheit steigt noch stärker an, wenn auch deutsche Personen im Netzwerk vorhanden sind. Insgesamt wird deutlich, dass die Zugewanderten aus Eritrea und Syrien in Deutschland weitgehend sozial eingebunden und zufrieden mit ihrem Sozialleben sind.

Wie geht es weiter?

Die präsentierten Befunde der Studie liefern erstmals vertiefte Kenntnisse zur Lebensrealität von eritreischen und syrischen Menschen in Deutschland, betonte die Abteilungsleiterin des Forschungszentrums im BAMF, Katrin Hirseland. Die Erkenntnisse der Studie können somit zur Weiterentwicklung der Integrationsförderung genutzt werden. „Es geht darum, früh und niederschwellig zu fördern und dabei möglichst früh anzusetzen“, betonte sie. Dabei wird es auch um die Frage gehen, wie in den Maßnahmen, die gefördert werden, die Kontakte weiter gestärkt werden können. Es wird daher einen Ergebnistransfer in die Praxis mit Politik und Verwaltung geben, in dem auch bestimmte Themen wie die Familienkonstellationen und die Einflussfaktoren auf außerfamiliäre Kontakte weiter vertieft werden sollen.

Darüber hinaus soll auch anderen Forschenden die Möglichkeit gegeben werden, mit den Daten der Studie zu arbeiten. Diese werden voraussichtlich 2022 über GESIS oder das Forschungsdatenzentrum des BAMF zur Verfügung gestellt werden.

Hinweis zur Verwendung von Cookies

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz

OK