Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Geflüchtete Frauen • 10.07.2024„Fast die Hälfte der Schutzsuchenden in Deutschland ist weiblich“

Internationale Daten zeigen, dass rund die Hälfte aller Schutzsuchenden weltweit Frauen sind. Auch in Deutschland ist die Fluchtmigration zunehmend von Frauen geprägt. Am BiB werden Schutzsuchende aus wichtigen Herkunftsländern wie der Ukraine, Syrien und Eritrea befragt. Die BiB-Migrationsforscherinnen Dr. Lenore Sauer und Dr. Elisabeth K. Kraus erforschen die Bedeutung von Familie für Zugewanderte aus diesen Ländern. Im Interview erläutern sie die unterschiedlichen Lebenssituationen geflüchteter Frauen in Deutschland und deren Unterstützungsbedarfe.

Sie beobachten den Trend, dass der Anteil weiblicher Schutzsuchender in Deutschland zugenommen hat. Woran liegt das?

Elisabeth Kraus: Ja, vor allem in den letzten beiden Jahren ist der Anteil weiblicher Schutzsuchender in Deutschland angestiegen und lag Ende 2023 bei rund 45 Prozent. Auch weltweit lässt sich dieser Trend beobachten: Immer mehr Mädchen und Frauen müssen ihre Heimatländer aufgrund von Krieg, Konflikten oder Verfolgung verlassen. In Deutschland hat dieser Anstieg des Frauenanteils vor allem mit den Geflüchteten aus der Ukraine zu tun. Ende 2023 waren 61 Prozent der Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft in Deutschland weiblich. Die Frauenanteile in anderen Herkunftsgruppen sind allerdings kleiner. Bei Menschen aus Syrien oder aus Eritrea beispielsweise liegt der Anteil jeweils bei rund 36 Prozent. Nach Angaben des Ausländerzentralregisters (AZR) waren Ende des letzten Jahres Menschen aus der Ukraine die zahlenmäßig wichtigste Gruppe unter den Schutzsuchenden, gefolgt von Syrien. Eritrea ist das wichtigste afrikanische Land in dieser Hinsicht.

Zwei Befragungen des BiB liefern auch Daten über weibliche Schutzsuchende aus der Ukraine, Syrien und Eritrea. Wer sind diese Frauen und mit wem sind sie in Deutschland angekommen?

Elisabeth Kraus: Im Rahmen unserer Befragung TransFAR wurden in Deutschland lebende Menschen aus Eritrea und Syrien befragt, zur Hälfte Frauen und zur Hälfte Männer. Basierend auf den Daten dieser Studie haben wir herausgefunden, dass Frauen seltener alleine in Deutschland ankamen als Männer aus den gleichen Herkunftsländern. Frauen aus beiden Ländern kamen häufig mit ihren Kindern und/oder ihrem Partner in Deutschland an. Syrerinnen reisten aber relativ häufig mit anderen Familienangehörigen nach Deutschland ein, was bei den Eritreerinnen vergleichsweise selten vorkam. Auch die Fluchtdauer unterscheidet sich: Während bei den Syrerinnen im Durchschnitt etwas über ein Jahr zwischen dem Verlassen Syriens und der Ankunft in Deutschland liegt, sind es bei den Eritreerinnen fast drei Jahre. Die eritreischen Frauen haben also häufig in anderen Ländern gelebt, bevor sie nach Deutschland weiter migrierten.

Dr. Lenore Sauer Dr. Lenore Sauer Quelle: © BiB

Und wie sieht es bei den Ukrainerinnen aus?

Lenore Sauer: Bei den Ukrainerinnen sind nur knapp 20 Prozent alleine angekommen. Das geht aus der Befragung des BiB „Geflüchtete aus der Ukraine“ hervor, für die seit März 2022 nach Deutschland geflohene Menschen aus der Ukraine befragt wurden. Diejenigen, die nicht alleine migriert sind, sind meist mit ihren oft minderjährigen Kindern und relativ häufig auch mit ihren Eltern nach Deutschland gekommen. Allerdings sind vergleichsweise wenige Frauen mit ihrem Partner angekommen, substantiell weniger als wir bei den Eritreerinnen und Syrerinnen beobachten können. Das liegt daran, dass ukrainische Männer im wehrfähigen Alter mehrheitlich an der Verteidigung ihres Landes beteiligt sind und somit dort zurückbleiben mussten. Auch die Entfernung aus der Ukraine nach Deutschland ist vergleichsweise gering und der Weg ist für Frauen mit Kindern einfacher und sicherer als aus anderen, weiter entfernten Ländern. Das zeigt sich auch an der relativ kurzen Fluchtdauer von nur wenigen Tagen aus der Ukraine nach Deutschland.

Welche Unterstützungsmaßnahmen sind notwendig, um den unterschiedlichen Lebenssituationen von schutzsuchenden Frauen und Müttern in Deutschland gerecht zu werden?

Lenore Sauer: Es wird klar, dass die Unterstützungsbedarfe von Schutzsuchenden individuell an die familiären Situationen der Personen angepasst werden müssen. Geflüchtete Frauen und vor allem Mütter haben andere Bedarfe als allein eingereiste männliche Schutzsuchende. Besonders Mütter, die alleine mit ihren Kindern nach Deutschland gekommen sind, benötigen besondere Hilfestellungen. Hier geht es vor allem um Kita- und Schulplätze, damit Kinder und Jugendliche mit Gleichaltrigen zusammenkommen und ihre Mütter Integrationskurse besuchen und in den Arbeitsmarkt einsteigen können. Allgemein gilt, dass Unterstützungsmaßnahmen möglichst flexibel und niederschwellig an unterschiedliche familiäre Situationen und Bedarfe angepasst werden sollten. So können spezifische Bedürfnisse und Herausforderungen berücksichtigt werden.

In Ihrer Befragung „Forced Migration and Transnational Family Arrangements – Eritrean and Syrian Refugees in Germany (TransFAR)“ haben Sie sich insbesondere mit den Familien- und Beziehungskonstellationen von geflüchteten Frauen und Männern beschäftigt. Warum?

Elisabeth Kraus: Europaweit gibt es bisher nur wenige repräsentative quantitative Befragungen, die sich speziell mit den Familien Geflüchteter befassen. TransFAR liefert hier einmalige und detaillierte Informationen zu den Schutzsuchenden und ihrem Leben in Deutschland sowie zu ihrer engeren und erweiterten Familie, beispielsweise zum Aufenthaltsort verschiedener Familienangehöriger und den Austauschbeziehungen mit diesen. Grenzüberschreitende Familienkonfigurationen haben wichtige Auswirkungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene, weil sie gegebenenfalls. Migrationsprozesse weiterer Personen nach sich ziehen und mit der Integration und dem Wohlbefinden der Schutzsuchenden in Zusammenhang stehen.

Aktuell untersuchen Sie, wie sich unterschiedliche familiäre Situationen von Geflüchteten auf das Entstehen von persönlichen sozialen Netzwerken auswirken. Was wissen Sie bislang darüber?

Lenore Sauer: In unserer neuesten Forschung gehen wir der Frage nach, inwieweit migrierte Personen aus Eritrea und Syrien nach ihrer Ankunft in Deutschland neue Kontakte knüpfen und welche Ressourcen sie durch diese Kontakte erhalten. Das kann emotionale oder praktische Unterstützung sein oder auch die Freizeitgestaltung betreffen. Besonders interessiert uns die Rolle der Familie sowie migrationsbezogene Merkmale, etwa bestehende Kontakte nach Deutschland vor der Flucht oder mit welchen Personen die Ankunft in Deutschland erfolgt ist. Bei unseren Analysen legen wir neben der Untersuchung der Unterschiede zwischen Personen aus beiden Herkunftsländern den Fokus zudem auf Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

Hintergrund zu den BiB-Befragungen

Schutzsuchende aus Syrien und Eritrea

Die deutschlandweit repräsentative quantitative Befragung „Forced Migration and Transnational Family Arrangements – Eritrean and Syrian Refugees in Germany” (TransFAR) wurde 2020 durchgeführt. Sie konzentriert sich auf geflüchtete Frauen und Männer aus Eritrea und Syrien, die zwischen 2013 und 2019 nach Deutschland eingereist sind. Der Datensatz wird im Laufe dieses Jahres in Form eines Scientific-Use-Files der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt.

Schutzsuchende aus der Ukraine

Die Befragung ukrainischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ist eine Längsschnitterhebung, die das BiB zusammen mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) sowie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Jahr 2022 als Studie mit zunächst zwei Erhebungswellen gestartet hat. Ab der dritten Welle wird die Studie als „BiB/FReDA-Befragung: Geflüchtete aus der Ukraine“ weitergeführt. Der Datensatz der ersten und zweiten Welle wurde im Juli 2024 veröffentlicht und steht kostenfrei zur Verfügung.

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