Sterblichkeitstrends | 07.06.2024„Sterblichkeitslücke zwischen Deutschland und Westeuropa gewachsen“
Deutschland weist im westeuropäischen Vergleich seit etwa 20 Jahren eine verhältnismäßig niedrige Lebenserwartung auf. Ein Forschungsteam, darunter Wissenschaftler des BiB, hat die Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland im internationalen Kontext untersucht. Im Interview äußert sich BiB-Mortalitätsforscher und Mitautor Dr. Markus Sauerberg zu zentralen Befunden und den Potenzialen zur Reduzierung der Sterblichkeit.
Herr Dr. Sauerberg, was sind denn die häufigsten Ursachen für Sterbefälle in Deutschland?
In erster Linie spielen vor allem Herz-Kreislauf-Erkrankungen im fortgeschrittenen Erwachsenen- beziehungsweise Rentenalter eine Rolle. Zudem liegt die Sterblichkeit durch die zweithäufigste Todesursache in Deutschland, Krebserkrankungen, im Vergleich zu den ausgewählten Ländern über dem Durchschnitt. Verglichen wurde die Sterblichkeit in Deutschland mit der in 14 anderen westeuropäischen Ländern, darunter sind Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Spanien, Vereinigtes Königreich und die Schweiz.
Dr. Markus Sauerberg
Quelle: © BiB
Warum hat Deutschland eine verhältnismäßig niedrige Lebenserwartung im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern?
Etwa um das Jahr 2000 herum hat die Sterblichkeitslücke zwischen Deutschland und dem restlichen Westeuropa stetig zugenommen. Die Lebenserwartung ist aber zuvor schon seit Jahrzehnten zurückgeblieben. Verantwortlich dafür ist die Sterblichkeit der älteren Gruppen, besonders in der Bevölkerung ab 65 Jahren mit einer besonderen Ausprägung bei den Frauen. Bei den Männern sind es die Altersgruppe 65-74 Jahre und auch die 55- bis 64-Jährigen, die für das Zurückfallen Deutschlands bei der Sterblichkeit verantwortlich sind.
Bis in die 1990er Jahre hinein gab es einen deutlichen Sterblichkeitsabstand zwischen West- und Ostdeutschland bei Männern und Frauen. Wie ist die Situation heute?
Insgesamt hat sich der Abstand verringert. Die Lebenserwartung ostdeutscher Frauen hat sich dem westdeutschen Niveau vollständig angenähert. In manchen Altersgruppen ist für Frauen die Sterblichkeit sogar niedriger in Ostdeutschland. Dagegen existiert bei den ostdeutschen Männern nach wie vor ein Rückstand von etwas über einem Jahr im Vergleich zu den westdeutschen Männern.
Sterben sozioökonomisch benachteiligte Menschen insgesamt früher als Wohlhabendere?
Über 20 Jahre hinweg haben wir beobachtet, dass Frauen und Männer in sozioökonomisch benachteiligten Wohnregionen durchschnittlich früher starben und dementsprechend eine kürzere Lebenserwartung hatten als jene in wohlhabenden Gegenden.
Wo sehen Sie Potenziale für die Reduzierung von Sterblichkeit in Deutschland?
Insbesondere bei Menschen im höheren Alter müsste eine weitere Verringerung der Sterblichkeit erzielt werden. Dies gilt vor allem für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wie groß der Einfluss verschiedener Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht oder körperliche Inaktivität auf die vergleichsweise niedrige Lebenserwartung in Deutschland ist, lässt sich derzeit wissenschaftlich seriös nicht sagen. In vielen Fällen sind Todesursacheninformationen erforderlich, um klarere Erkenntnisse zu gewinnen. Zudem begrenzen in Deutschland Datenbeschränkungen eine internationale Vergleichbarkeit von Todesursachen. Viel Potenzial liegt in der Fokussierung auf die Prävention und Früherkennung chronischer Krankheiten, einer Verbesserung der sozioökonomischen Situation der Menschen sowie der Zurückdrängung des Konsums von Tabakwaren, Alkohol und anderen Suchtmitteln.
Dieses Interview ist erschienen in Heft 3/2024 von Bevölkerungsforschung Aktuell.