Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Zukunft der Arbeit | 12.03.2024„Tätigkeitsbiografien an den demografischen Wandel anpassen“

Der demografische Wandel wird unsere Arbeitswelt stark verändern. Wir leben heute länger und sind dabei im Alter vielfach gesünder als viele Generationen vor uns. Dr. Andreas Mergenthaler, Leiter der Forschungsgruppe Altern und Alterung am BiB, beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Potenzialen Älterer und erforscht die Arbeitsmarktbeteiligung im Rentenalter. Seine Expertise brachte der Alternsforscher in die Stellungnahme „Die Zukunft der Arbeit“ der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Akademieunion ein.

Herr Dr. Mergenthaler, wie sollten wir Arbeit zukünftig verstehen?

Auf jeden Fall sollten wir über eine neue und umfassendere Definition von Arbeit nachdenken. Was ist für uns als Gesellschaft wertvoll? Nicht nur die Erwerbsarbeit, sondern auch unbezahlte Tätigkeiten wie das Ehrenamt stärken gesellschaftlichen Wohlstand, sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Generationen. Verschiedene Entwicklungen wie die Digitalisierung, die Abkehr von fossilen Brennstoffen und auch der demografische Wandel verändern die Arbeitswelt und erfordern ein Umdenken.

Als interdisziplinäre Arbeitsgruppe mit Forschenden aus sehr unterschiedlichen Disziplinen schlagen wir deshalb den Begriff der „Tätigkeitsgesellschaft“ vor, um den Begriff der „Arbeitsgesellschaft“ weiter zu fassen. Damit betonen wir die Auffassung, dass Erwerbsarbeit im Lebensverlauf stärker als bisher im Zusammenspiel mit anderen Tätigkeiten, wie freiwilligem Engagement oder Sorgearbeiten innerhalb der Familie, gesehen werden sollte.

Dies gewinnt vor allem mit Blick auf den demografischen Wandel an Bedeutung, denn die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge kommen ins Rentenalter. Das wird den Arbeitsmarkt und die sozialen Sicherungssysteme in den kommenden 15 Jahren vor große Herausforderungen stellen.

Ihre Forschung zeigt, dass sich die Lebensverläufe älterer Menschen verändert haben. Erwerbstätigkeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Was bedeutet dies für unser Verständnis vom Tätigsein im Alter?

Für das Leben ab Mitte 60 gibt es so gut wie keine gesellschaftlichen Blaupausen. Die Erwerbsarbeit über das gesetzliche Rentenalter hinaus finden wir jedoch immer häufiger, auch aufgrund gewonnener Lebensjahre in guter Gesundheit. In unserer Studie „Transitions and Old Age Potential“ (TOP) am BiB haben wir danach gefragt, warum sich Menschen weiter am Arbeitsmarkt beteiligen, auch wenn sie das gesetzliche Renteneintrittsalter bereits überschritten haben. Finanzielle Gründe spielen dabei zwar eine wichtige Rolle, interessanterweise ist der Kontakt zu anderen Menschen oder der Spaß an der Arbeit jedoch für viele wichtiger. Dies zeigt, dass eine Fortführung solcher Tätigkeiten keineswegs nur aus ökonomischen Beweggründen erfolgt. Darüber hinaus führt eine verlängerte Erwerbstätigkeit dazu, dass der Übergang in den Ruhestand immer unschärfer wird. Daher beobachten wir mittlerweile eher eine Verlängerung des „produktiven“ mittleren Lebensalters teilweise bis in das achte Lebensjahrzent hinein.

Damit die Gesellschaft von den Tätigkeitspotenzialen älterer Menschen profitieren kann, sollte der traditionelle dreigeteilte Lebensverlauf von Ausbildung, Erwerbsarbeit und Ruhestand flexibilisiert werden. Dafür braucht es ein Modell, das die Vereinbarkeit von unterschiedlichen Tätigkeiten in allen Lebensphasen, insbesondere im ressourcenreichen „Dritten Alter“, verbessert.

Erwerbsarbeit, Angehörigenpflege, Enkelbetreuung – ältere Menschen sind vielfältig aktiv. Welche Herausforderungen gibt es dabei und was empfiehlt die interdisziplinäre Expertengruppe zur Zukunft der Arbeit?

Durch einen Anstieg der Erwerbstätigenquoten vor allem bei den 50- bis 64-jährigen Frauen kommt es auch in dieser Lebensphase zunehmend zu Vereinbarkeitsproblemen zwischen Erwerbsarbeit und familialen Sorgearbeiten wie Enkelbetreuung oder der Pflege eines Angehörigen. Dieses Phänomen stellt sowohl den Arbeitsmarkt als auch die Familienpolitik vor große Herausforderungen.

Daher ist mehr Flexibilität bei der Vereinbarung von Sorgearbeit und Erwerbsarbeit nötig. Eine immer längere Erwerbsarbeit und der steigende Bedarf an häuslicher Pflege können zu Konflikten führen. Denn die überwiegende Mehrzahl der zu pflegenden Personen wird in der Familie versorgt und diese meist von Frauen. Die damit verbundenen Ungleichheiten könnten durch eine gleichmäßigere Aufteilung von Sorge- und Erwerbstätigkeit zwischen den Geschlechtern entschärft werden. Angesichts der sich wandelnden Rahmenbedingungen in einer alternden Gesellschaft sind solche Maßnahmen geboten, um die Potenziale einer Tätigkeitsgesellschaft in jedem Lebensalter umfassend zu erkennen und zu erschließen.

Hierzu wäre es lohnenswert, den gesamten Lebensverlauf in den Blick zu nehmen. Die bislang noch relativ starre Abfolge von Ausbildung, Arbeit und Ruhestand könnte aufgebrochen werden mit dem Ziel, diese Phasen eher parallel zueinander zu gestalten. So könnte man altersunabhängig eine bessere Vereinbarkeit unterschiedlicher Tätigkeiten erreichen und Tätigkeitsbiografien an die Ausweitung der Lebenserwartung anpassen.

Hintergrund

Die Stellungnahme „Die Zukunft der Arbeit“ wurde Mitte Januar 2024 veröffentlicht und ist ein gemeinsamer Beitrag der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften unter der Federführung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Die Akademien unterstützen Politik und Gesellschaft unabhängig und wissenschaftsbasiert bei der Beantwortung von Zukunftsfragen zu aktuellen Themen. Ihre Mitglieder und weitere Experten sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland.

BiB-Forschungsgruppenleiter Andreas Mergenthaler war für das 3. Kapitel „Demografie und lebensverlaufsorientierte Arbeitsmarktgestaltung“ gemeinsam mit Axel Börsch-Supan zuständig und für das 6. Kapitel „Erwerbs- und Sorgearbeit in der Tätigkeitsgesellschaft“ gemeinsam mit Katharina Wrohlich.

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