Interview zum Jubiläum | 03.07.202350 Jahre – eine Bilanz: Das BiB gestern, heute und morgen
Was macht das BiB eigentlich? Anlässlich des Jubiläums äußert sich die Direktorin Prof. Dr. C. Katharina Spieß zu den Entwicklungen der letzten 50 Jahre, zur aktuellen Forschung sowie zu den Stärken und der Zukunft des Instituts.
Quelle: © Peter-Paul Weiler
Frau Prof. Dr. Spieß, das BiB feiert seinen 50. Geburtstag in unruhigen Zeiten. Erst kam die Pandemie, dann der Krieg in der Ukraine. Inwieweit haben diese Ereignisse auch die Forschungsarbeit des Instituts beeinflusst?
Sehr deutlich. Das BiB hat sowohl bei seinen Forschungsthemen und bei der Politikberatung sehr schnell auf diese beiden Krisen reagiert. Es haben sich neue Forschungsprojekte entwickelt, die direkt durch die Krisen entstanden sind. Dazu zählt etwa das Thema „Belastungen von Familien, Eltern und Kindern durch Corona“ oder ganz aktuell die Lage von Geflüchteten aus der Ukraine in Deutschland. Beides sind zudem Beispiele für forschungsbereichsübergreifende Projekte. Aktuelle Herausforderungen für die Bevölkerung und ihre Entwicklung hat das BiB stets in den Blick genommen. Dies hat auch damit zu tun, dass die forschungsbasierte Politikberatung eine zentrale Aufgabe des BiB ist.
Wo liegen aus Ihrer Sicht die Stärken des Instituts?
Eine Stärke besteht in der Vielfalt der wissenschaftlichen Disziplinen am BiB. Diese unterschiedlichen Perspektiven sind wichtig, wenn es darum geht, Antworten auf Fragen unserer Zeit zu geben – diese sind so komplex, dass sie nicht nur aus einem Blickwinkel heraus beantwortet werden können. Diese Studien tragen auch zur Sichtbarkeit der Forschung am BiB bei, wie die letzten Monate gezeigt haben. Als eine Folge daraus hat unsere Präsenz in der deutschen Medienlandschaft erfreulicherweise erheblich zugenommen. Das ist ein zentraler Punkt gerade auch für Ressortforschungseinrichtungen wie das BiB, welche die explizite Aufgabe haben, Politik und Gesellschaft forschungsbasiert zu beraten.
Das BiB hat die Aufgabe zu forschen, zu beraten und zu informieren. Das ist ein Merkmal, das es von anderen demografischen Forschungsinstitutionen in Deutschland unterscheidet. Wie nehmen Sie diese unterschiedlichen Aufgaben in Ihrer Arbeit wahr?
Die Gründung des BiB erfolgte 1973 aus dem Bewusstsein heraus, dass die Politik Beratungsbedarf bei bevölkerungswissenschaftlichen Fragen gesehen hat. Dies geschah auch vor dem Hintergrund des rückläufigen Geburtenniveaus seit Mitte der 1960er Jahre. Diesen Wandel wollte man besser verstehen. Damit einhergehend war immer auch die Information der Öffentlichkeit über demografische Forschungsergebnisse und Trends verbunden. Zudem sollte das Institut im Zuge der eigenen empirischen Forschung mithilfe eigener Analysen die Politik beraten. Die Entwicklung neuer Methoden und neuer Daten war dabei immer wichtig.
Mit dem Thema der frühkindlichen Bildung und Betreuung in Familien und Kitas haben Sie sich schon intensiv während Ihrer Zeit vor dem BiB befasst. Wo sehen Sie hier Ansatzpunkte zur bevölkerungswissenschaftlichen Forschung am BiB?
Das Thema frühe Bildung und Betreuung ist nach wie vor sehr aktuell – insbesondere auch im Hinblick auf die Nutzung und Entwicklung des heutigen und des künftigen Humanpotentials. Investitionen in eine gute frühe Bildung und Betreuung sind sehr effektiv und auch effizient – sie können erheblich zu mehr Chancengerechtigkeit beitragen und ermöglichen es, dass alle Kinder von Anfang an gefördert werden. Frühe Bildung ermöglicht es unter anderem, dass Eltern, insbesondere Mütter, ihre Erwerbswünsche realisieren können. Dies ist ein Weg, um dem demografisch bedingten Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials entgegenzuwirken.
Darüber hinaus wissen wir, dass eine gute Bildung und Betreuung in Kitas positiv auf die Fertilität und damit die Geburtenraten wirkt. Kitas können darüber hinaus dazu beitragen, dass die Integration von Familien mit Zuwanderungsgeschichte verbessert werden kann, und zwar nicht nur die der Kinder, sondern auch die der Mütter. Frühe Bildung kann erheblich dazu beitragen, dass der Sockel der Bevölkerungspyramide in Deutschland nicht wackelt.
Welche Themen werden in den nächsten Jahren die demografische Debatte bestimmen?
Der bereits erwähnte Rückgang im Erwerbspersonenpotential wird vermehrt die Frage aufwerfen, wie diesem begegnet werden kann. Neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wird es auch darum gehen, wie es um die Lebensqualität der Menschen bestellt ist. Das Wohlergehen der Menschen ist für alle demografischen Ereignisse wichtig, für die Entscheidung für Kinder, für Migrations- und Mobilitätsentscheidungen als auch dafür, wie viele Jahre Menschen in guter Gesundheit verbringen können. Das Wohlergehen ist aber gleichzeitig auch ein Maß dafür, wie zufrieden Menschen mit ihrer Familiensituation, ihrer Arbeit, ihrem Umzug oder auch ihrem Leben als älterer Mensch sind. Wir am BiB beschäftigen uns auch mit diesem für die Zukunft zentralen Thema.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie wir mit der zunehmenden Heterogenität unserer Gesellschaft umgehen: Bereits heute hat nahezu jedes zweite Kind unter 10 Jahren einen Migrationshintergrund. Und wir werden uns damit befassen müssen, dass der Anteil pflegebedürftiger Menschen zunehmen wird. Dazu wird es auch verstärkt um die Frage gehen, wie wir „gut“ altern können. Dabei haben beispielsweise Fragen der gesundheitlichen Prävention eine Bedeutung.
Wo sehen Sie das Institut in 10 Jahren?
Als ich 2021 die Leitung des BiB übernommen habe, habe ich vor allem zwei wichtige Schwerpunkte für die Weiterentwicklung des Instituts benannt: Zum einen die weitere Vertiefung der Zusammenarbeit der Forschungsbereiche am BiB und zum anderen die Erhöhung der nationalen und internationalen Sichtbarkeit des BiB. Hier sind wir aktuell auf einem sehr guten Weg, wir haben zum Beispiel ein BiB-Fellow-Programm entwickelt, was uns im In- und Ausland mit renommierten Forschenden verbindet, mit denen wir gemeinsame Veranstaltungen und Projekte machen.
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass das BiB national und international eine erste Adresse für Forschende wird, die ihre Aufgaben darin sehen, gesellschaftspolitisch relevante Themen unserer Bevölkerung in Deutschland zu beforschen und die dabei auch dem Befund Rechnung tragen, dass diese Entwicklung eng verknüpft ist mit der weltweiten Bevölkerungsdynamik. Dass uns dies gelingen kann, davon bin ich überzeugt.
Anmerkung der Redaktion: Dies ist die gekürzte Fassung eines Interviews, das in der Ausgabe 3/2023 der Zeitschrift Bevölkerungsforschung Aktuell erschienen ist.