Neue Studie | 16.02.2023Wie leben Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland?
Die Befragung von mehr als 11.000 Ukrainerinnen und Ukrainern liefert erste repräsentative Erkenntnisse zu ihrer Lebenssituation und ihren Zukunftsplänen. Das BiB hat die Untersuchung gemeinsam mit drei Projektpartnern durchgeführt. Dabei wurden unter anderem die Themen Ankunft und Bleibeabsichten, Bildung und Arbeit, Deutschkenntnisse, die Familien- und Haushaltssituation sowie das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in den Blick genommen. Ein zentraler Befund der Studie: Fast die Hälfte der geflüchteten Frauen lebt mit minderjährigen Kindern in Deutschland. Fehlende Kinderbetreuung erschwert ihnen eine stärkere Teilhabe am Arbeitsmarkt.
Seit Kriegsbeginn vor fast einem Jahr sind mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Die Rahmenbedingungen für ukrainische Staatsangehörige unterscheiden sich für Geflüchtete aus anderen Herkunftsländern. Mit der Aktivierung der sogenannten „Richtlinie zum vorübergehenden Schutz“ durch die EU wurde schnell Planungssicherheit geschaffen. Damit ist es ukrainischen Geflüchteten möglich, unmittelbar nach dem Zuzug eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder Sprachkurse zu besuchen. Das ermöglicht gute Integrationschancen. Immerhin möchten 37 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer dauerhaft oder mindestens mehrere Jahre in Deutschland bleiben.
Gute Voraussetzungen bei ukrainischen Frauen
Bei den geflüchteten Erwachsenen aus der Ukraine handelt es sich überwiegend um Frauen (80 %). Nahezu jede Zweite lebt mit mindestens einem minderjährigen Kind im Haushalt. Viele sind im Alltag auf sich gestellt: Dreiviertel der Frauen mit minderjährigen Kindern lebt ohne Partner in Deutschland.
Das Bildungsniveau der geflüchteten Männer und Frauen ist hoch. 72 Prozent haben einen Hochschulabschluss. Zudem können sie auf Arbeitserfahrung in hochqualifizierten Berufen mit größerem Verantwortungsbereich zurückblicken: Vor der Flucht waren viele als Führungskräfte, Wissenschaftlerinnen oder Techniker beschäftigt.
Viele Geflüchtete aus der Ukraine haben vor ihrer Flucht in hochqualifizierten Berufen gearbeitet.
Die Voraussetzungen für eine Teilhabe am Arbeitsmarkt sind daher gut. Und eine deutliche Mehrheit der Frauen möchte eine Erwerbstätigkeit aufnehmen.
Kinderbetreuung erleichtert Teilhabe von Frauen
Geflüchtete Frauen aus der Ukraine sind insgesamt seltener erwerbstätig als Männer - insbesondere, wenn ihre Kinder keine Betreuungs- oder Bildungseinrichtung besuchen. Sprachkurse besuchen Mütter von jüngeren Kindern ohne Möglichkeit zur Kinderbetreuung meist später. Dabei würden gerade sie von der Fremdbetreuung ihrer Kinder profitieren: Wenn geflüchtete Kinder die Kita oder Schule besuchen, stärkt dies auch ihr psychisches Wohlbefinden.
Insgesamt gehen Kinder und Jugendliche aus der Ukraine bereits sehr häufig auf deutsche Schulen, das trifft auf neun von zehn Familien mit schulpflichtigen Kindern zu. Insbesondere der Anteil an Grundschulkindern ist hoch.
In knapp jeder vierten Familie nutzt mindestens ein Kind die Online-Angebote ukrainischer Schulen.
Ein anderes Bild zeigt sich bei der Betreuung von Kindern vor Schuleintritt: Nur etwa jedes fünfte ukrainische Kind unter 3 Jahren wird bislang in einer Kita betreut, bei jenen zwischen 3 Jahren und Schuleintritt sind es knapp 60 Prozent.
Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist es daher, dass der Zugang zu formaler Kinderbetreuung die Teilhabe und Integration von ukrainischen Frauen in Deutschland erleichtern kann.
Hintergrund der Studie
- Die IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP Befragung ist ein gemeinsames Projekt des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), des Forschungszentrums des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am DIW Berlin. Für diese Studie wurden 11.763 Geflüchtete aus der Ukraine in der Zeit zwischen August und Oktober 2022 befragt.
- Mit dem Forschungsprojekt „Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland“ wird eine repräsentative sozialwissenschaftliche Wiederholungsbefragung – IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP Befragung – zu dieser Gruppe etabliert und eine belastbare Datengrundlage geschaffen.
- Im Dezember 2022 wurden bereits erste Ergebnisse der Studie veröffentlicht. Der vorliegende Bericht ist der umfassende Ergebnisbericht zur Studie. Seit Januar 2023 wird eine zweite Befragungsrunde durchgeführt.