IUSSP: International Population Conference 2021 | 17.12.2021Mortalitätsforschung am BiB im Fokus
Bei der alle vier Jahre stattfindenden International Population Conference (IPC) haben viele BiB-Forschende ihre aktuellen Forschungsprojekte vorgestellt. Ein großer Teil der Beiträge widmete sich der Mortalitätsforschung im Kontext des ERC-Projektes REDIM.
Modell zur Intensivbettenauslastung
Das Thema Mortalität und Gesundheit beeinflusst gerade auch in Pandemiezeiten die Forschungsprojekte des BiB. In welcher Weise, zeigte die Projektgruppe um Sebastian Klüsener, die ein Mikrosimulationsmodell entwickelt hat, mit dem Prognosen zur Intensivbettenauslastung mit COVID-19-Erkrankten erstellt werden.
Das Modell berücksichtigt raumzeitliche Unterschiede in den Pandemiedynamiken und in den Risikogruppen sowie mögliche räumliche Ausbreitungswege der Pandemie. „Mit dem Modell kann frühzeitig erkannt werden, ob auf Basis der aktuellen Pandemiedynamik in den nächsten Wochen mit Engpässen bei der Intensivbettenbelegung zu rechnen ist. Diese Informationen können etwa für politische Entscheidungen über Eindämmungsmaßnahmen eine wichtige Rolle spielen“, betonte Sebastian Klüsener.
Regionale Mortalitätsunterschiede im deutschsprachigen Raum
Mit regionalen Unterschieden vermeidbarer Todesursachen in Österreich, Deutschland und der Schweiz im Zeitraum zwischen 1995-2018 beschäftigte sich Michael Mühlichen (BiB) zusammen mit Markus Sauerberg (Vienna Institute of Demography, Wien, Österreich) und Mathias Lerch (Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne, Schweiz). Die drei Länder sind alle deutschsprachig bzw. im Fall der Schweiz mehrheitlich deutschsprachig, unterscheiden sich aber in ihren gesundheitspolitischen Ausrichtungen.
„Das Ziel des Projekts besteht darin, die Trends und Unterschiede bei der medizinisch und präventiv vermeidbaren Mortalität zu untersuchen, um so Erkenntnisse über den Effekt der unterschiedlichen Gesundheitspolitiken auf die räumlichen Mortalitätsunterschiede in den drei Ländern zu gewinnen“, sagte BiB-Wissenschaftler Michael Mühlichen.
Die Befunde zeigen u. a., dass das niedrigere Niveau der Lebenserwartung im Norden und Osten des untersuchten deutschsprachigen Raums auch mit Defiziten bei der medizinischen Versorgung und bei der Förderung eines gesünderen Verhaltens der Bevölkerung zusammenhängt.
Räumliche Ungleichheiten der Mortalität
Mit räumlichen Ungleichheiten der Mortalität in Frankreich und Deutschland über die letzten 30 Jahre hinweg beschäftigt sich eine Forschergruppe, an der Pavel Grigoriev, Michael Mühlichen und Sebastian Klüsener vom BiB sowie Florian Bonnet und France Meslé vom Französischen Institut für demografische Studien (INED) beteiligt sind.
„Unsere Datensätze zur regionalen Mortalität erlauben es, den kontinuierlichen Trend räumlicher Ungleichheiten bei der Mortalität in beiden Ländern nachzuvollziehen“, sagte BiB-Forscher Grigoriev. Dass die regionalen Ungleichheiten in beiden Ländern in den letzten Jahren nicht mehr weiter gesunken sind, obwohl die Lebenserwartung insgesamt in beiden Ländern gestiegen ist, bezeichnet er als besorgniserregend.
Faktor Rauchen verstärkt regionale Mortalitätsunterschiede in Deutschland
Der Frage, wie das Rauchen zu regionalen Mortalitätsunterschieden in Deutschland beiträgt, gingen Pavel Grigoriev, Sebastian Klüsener und Alyson van Raalte (Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock) in ihrem Vortrag nach.
„Unsere Befunde belegen, dass die durch Rauchen verursachte Sterblichkeit im Untersuchungszeitraum bei den Männern ab- und bei den Frauen zugenommen hat“, betonte Pavel Grigoriev. „Wie stark der Einfluss des Rauchens auf die Mortalität ist, zeigt sich unter anderem daran, dass die regionalen Unterschiede bei der Gesamtsterblichkeit von Frauen vielerorts nur halb so groß wären, wenn wir die auf das Rauchen zurückzuführenden Sterbefälle herausrechnen“, so der Wissenschaftler.
Wer gut verdient, lebt länger
Mit dem Zusammenhang zwischen dem Einkommen und der Mortalität beschäftigten sich Georg Wenau (Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock) Pavel Grigoriev, Sebastian Klüsener, Roland Rau und Vladimir M. Shkolnikov (beide Max-Planck-Institut für demografische Forschung, Rostock) unter Beachtung räumlicher Unterschiede in Deutschland.
„Das Sterberisiko nimmt mit steigendem Einkommen fast linear ab, und zwar über alle Regionen und Siedlungstypen betrachtet“, betonte Sebastian Klüsener. Wie groß diese Sterblichkeitsunterschiede zwischen den Einkommensgruppen sind, variiert allerdings enorm innerhalb Deutschlands. So weisen Großstädte hierbei das höchste Ausmaß sozialer Ungleichheit bei der Mortalität auf.
Daten zur Sterblichkeit vergleichbar machen
Die internationale Vergleichbarkeit von Daten zu Todesursachen über Raum und Zeit sicherzustellen, ist eine wissenschaftliche Herausforderung. Dazu gehört unter anderem, den Übergang verschiedener Krankheitsklassifikationen zu harmonisieren und unklar definierte Todesursachen umzuverteilen. Diese Herausforderung wird umso größer, wenn man auf die sub-nationale Ebene geht.
Um zu einer Lösung des Problems beizutragen, stellten Pavel Grigoriev, Florian Bonnet (Französisches Institut für demografische Studien (INED)), Michael Mühlichen und France Meslé (Französisches Institut für demografische Studien (INED)) in ihrem Vortrag zwei unterschiedliche Ansätze zur Umverteilung von unklar definierten Todesursachen vor, die eine angemessene Vergleichbarkeit ermöglichen.
Weitere Themen von BiB-Forschenden
Elke Loichinger und Andreas Backhaus präsentierten eine Studie, in der sie systematisch die Evidenz des Konzepts der „demografischen Dividende“ aus globaler Perspektive untersuchen. Darüber hinaus präsentierten sie Ergebnisse einer Kohortenanalyse zur Erwerbsbeteiligung von Frauen in Sub-Sahara Afrika. Sie betonten, dass ein breiterer Bildungszugang für Frauen zunächst die Erwerbsbeteiligung reduzieren muss, sich im späteren Erwerbsleben allerdings positiv auswirkt.
Binnenwanderungsgeschehen in Ostdeutschland
Wie sich die Abwanderung von Frauen aus ländlichen Regionen auf das Verhältnis der Geschlechterproportionen in Ostdeutschland auswirkt, betrachteten Matthias Rosenbaum-Feldbrügge, Nico Stawarz, Uta Brehm und Nikola Sander.
Sie zeigten einen Wandel des Binnenwanderungsgeschehens bei den jungen Frauen und Männern im Zeitverlauf seit Anfang 2000. So sind mittlerweile ostdeutsche Städte attraktive Ziele für die 18- bis 24-Jährigen aus den ländlichen Regionen Ostdeutschlands.
Soziale Unterstützung und Lebenszufriedenheit Älterer
Vorhandene soziale Unterstützung beeinflusst die Lebenszufriedenheit älterer Menschen in Deutschland in positiver Weise, betonte Frank Micheel in seinem Vortrag. Dies gilt besonders für jene mit einem geringen Einkommen und einem schlechten Gesundheitszustand. Bei ihnen zeigt sich ein deutlich verstärkter Effekt auf die Lebenszufriedenheit im Vergleich zur Gruppe der ökonomisch und gesundheitlich besser Gestellten.