Forum „Sicherheit und Chancen für Familien“Familien unter Druck - was tun?
Die schwierige Lage vieler Familien in Deutschland ist nicht erst seit der Corona-Pandemie ein Thema. Allerdings hat die aktuelle Situation vorhandene Probleme wie durch ein Brennglas deutlicher sichtbar werden lassen, wie beim Forum des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) übereinstimmend betont wurde. An der Debatte nahm auch Forschungsdirektor PD Dr. Martin Bujard vom BiB teil.
Quelle: © Ingo Bartussek / Adobe Stock
Die Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach, Prof. Dr. Renate Köcher, wies darauf hin, dass Familien keine Auszeit in der Pandemie nehmen konnten. „Sie waren überdurchschnittlich betroffen, besonders in der zweiten Phase des Lockdowns, und erlebten teilweise Ausnahmesituationen, wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ging“, analysierte sie. Dabei waren die Belastungen nicht für alle gleich verteilt. Schwächere soziale Schichten kamen weitaus schlechter durch die Pandemie und sind auch stärker von den ökonomischen Folgen betroffen. „Unsere Umfragen belegen, dass auch aus Sicht der Bevölkerung der Wunsch vorhanden ist, die Chancen der Kinder aus schwächeren sozialen Schichten zu fördern und zu stärken“, verdeutlichte Prof. Dr. Köcher.
Wachsende soziale Ungleichheiten der Familien
Wie schwer es daher ist, heutzutage Kinder zu erziehen, machte Prof. Dr. Sabine Walper, Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut, deutlich. So sind die Ansprüche an Elternschaft gestiegen. „Ressourcenstärkere Eltern können dem Trend zunehmend engagierter Elternschaft leichter folgen als ressourcenärmere“, betonte Prof. Dr. Walper. Die beträchtlichen sozialen Unterschiede sind in Deutschland in den letzten Jahren weiter gewachsen, so dass bei der Entwicklung der Armutsrisiken für Familien aus ihrer Sicht noch keine Entwarnung gegeben werden kann. „Es gibt eine große wachsende Ungleichheit von Familien mit unterschiedlichen Lebenslagen.“ Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um die gerechte Vermittlung von Bildung als ein Schlüsselfaktor in der Wissensgesellschaft.
Ziel: Partnerschaftlichkeit muss gefördert werden
Dass die Familienpolitik die Problematik erkannt hat, betonte die Staatssekretärin im BMFSFJ, Juliane Seifert. So hat sich gerade in der Pandemie gezeigt, dass die Familienpolitik in Deutschland sehr wohl krisentauglich ist, meinte sie. Eine nachhaltige zukunftsfeste Familienpolitik muss Chancen für alle Kinder bieten. Zudem müssten Eltern mehr Zeit zur Verfügung haben, etwa durch eine neue Qualität bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Familien müssen wirtschaftlich abgesichert sein und somit auch leichteren Zugang zu staatlichen Familienleistungen bekommen. „Gute Kitas dürfen keine Frage des Geldbeutels sein“, betonte sie. Da eine Mehrheit der Eltern ihr Leben partnerschaftlich gestalten möchte, muss es eben darum gehen, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch durch die Möglichkeit für mehr Partnerschaftlichkeit zu fördern.
Dabei spielt aus der Sicht von Prof. Dr. Walper aber nicht nur die Betreuung der Kinder eine wichtige Rolle, sondern auch eine Entlastung bei der Förderung der Kinder. Mit der zeitweiligen Schließung von Kitas und Schulen werden hier wie unter einem Brennglas soziale Ungleichheiten offengelegt und deutlich, welch wichtige und zentrale Rolle die Bildungsinstitutionen haben, betonte die Wissenschaftlerin.
Problem: Wegfall der frühkindlichen Bildungsangebote
Auch die Leiterin Bildung und Familie am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Prof. Dr. C. Katharina Spieß, wies darauf hin, dass pandemiebedingt die frühkindliche Bildung, wie sie gerade in den Kitas vermittelt wird, weitgehend weggefallen ist. Es muss jetzt gefragt werden, was getan werden muss, um die Kinder identifizieren zu können, die durch diese Situation Nachholbedarf haben. „Wir wissen noch nicht genau, welche Familien durch die Schließungsmaßnahmen Nachteile erlitten haben. Dies ist aber wichtig, um zu wissen, was die Familien brauchen“, so Prof. Dr. Spieß. Familienpolitik ist aus ihrer Sicht daher in erster Linie Sozialpolitik. Ziel muss es daher sein, die Familien wieder stärker mit den Einrichtungen zusammenzuführen und den Austausch zu stärken.
BiB-Forschungsdirektor PD Dr. Martin Bujard wies darauf hin, dass es nicht nur um die Lernrückstände geht, sondern auch um die Frage: Was macht dies mit der seelischen Gesundheit der Kinder? „Schule ist nicht nur das Lernen von Stoff, sondern dient auch der seelischen Entwicklung der Kinder“, so der Soziologe, der am BiB den Forschungsbereich Familie und Fertilität leitet.
Familien brauchen vor allem Zeit
Dr. Bujard plädierte dafür, die Familienpolitik von den Wünschen der Eltern her zu denken. Wie kann man unterstützen, dass Eltern ihre Wünsche auch umsetzen können? So erfolgt nach der Geburt von Kindern meist eine ungewollte Verfestigung der traditionellen Partnerschaftsverteilung, die dann oftmals beibehalten wird. Zudem benötigen Eltern gerade in der Rushhour des Lebens, also in einer zeitlich begrenzten Phase im jüngeren Erwachsenenalter, in der Familiengründung und berufliche Belastungen zusammenfallen, vor allem eines: mehr Zeit. Eine Lösung zur Entzerrung dieser stressigen Phase könnte aus seiner Sicht in einer dynamischen Familienarbeitszeit liegen.
Der Wissenschaftler machte darauf aufmerksam, dass sich die Familienpolitik in den vergangenen 20 Jahren bereits massiv verändert hat: „Es hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen, gerade im Hinblick auf die für die Familie so wichtigen Faktoren Zeit und Infrastruktur“, betonte er. Dies zeigt nicht zuletzt der Erfolg der Elternzeit und des Elterngeldes: „Dass mittlerweile 42 Prozent der Väter Elternzeit nehmen, wäre ohne familienpolitische Reformen niemals geschehen.“ Damit möglichst viele Familien die Angebote auch wahr- und annehmen, muss darauf geachtet werden, diese möglichst einfach zu vermitteln: „Man muss sehen, wie man unterschiedliche soziale Gruppen erreicht und nicht einige zurücklässt.“
Mehr Zeit für Familie durch Homeoffice?
Hat das Instrument Homeoffice in der Pandemie den Familien mehr Zeit miteinander verschafft? Liegt hier die Lösung der Zeitproblematik? Für die Leiterin der Abteilung Familie im BMFSFJ, Petra Mackroth, ist dies so: „Diejenigen, die im Homeoffice arbeiten, gewinnen Zeit, die sie mit ihrer Familie verbringen können.“
Dagegen warnte Prof. Dr. Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft davor, Homeoffice als Hilfsinstrument für Betreuung und Homeschooling anzusehen. „Homeoffice ist nicht die Lösung für alles.“ Sinnvoller ist aus seiner Sicht eine Flexibilisierung der Arbeitszeit in den Betrieben. Letztlich müssen die Betriebe Familienförderung auch mittragen. Dabei wies Dr. Michael Böhmer, Chefvolkswirt bei der Prognos AG, darauf hin, dass die Förderung der Familien auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht rational und für Unternehmen ein Gewinn ist. Daher sollten die in der Pandemie eingeleiteten Möglichkeiten für eine bessere Vereinbarkeit auch danach beibehalten werden.
nach oben