Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Interview zu demografischen Trends • 18.03.2021„Pandemie kann räumliche Bevölkerungsverteilung verändern“

Mit der demografischen Entwicklung der letzten zehn Jahre befasst sich ein neuer Bericht des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung. Im Interview gibt BiB-Direktor Prof. Dr. Norbert F. Schneider einen Überblick über die künftigen Trends in Deutschland.

Prof. Dr. Norbert F. Schneider BiB-Direktor Prof. Dr. Norbert F. Schneider Quelle: BiB

Herr Professor Schneider, welche Auswirkungen erwarten Sie auf die demografische Entwicklung in Deutschland durch die Corona-Pandemie?

Langfristig gehe ich davon aus, dass die Pandemie die demografische Entwicklung in Deutschland im Hinblick auf die Bevölkerungsgröße nicht nachhaltig beeinflussen wird. Kurzfristig ist die Sterblichkeit zwar um etwa fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen und der Wanderungssaldo um etwa ein Drittel zurückgegangen, aber bei der Sterblichkeit rechne ich in den kommenden Jahren mit einem leichten Rückgang und bei der Migration gehe ich von einem Wiederanstieg aus. Die Geburtenzahlen scheinen bislang durch die Pandemie wenig beeinflusst. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die zweite Welle zu einem Geburtenrückgang führen wird. Was sich möglicherweise langfristig anders entwickeln dürfte, ist die räumliche Verteilung der Bevölkerung. Die Pandemie könnte die Suburbanisierung verstärken und die ländlichen Regionen für Binnenwanderung attraktiver machen. Gründe sind unter anderem die Ausweitung von Homeoffice, die bessere Versorgung mit digitalen Endgeräten und mit besserer Kommunikationssoftware.

Inwiefern hat die Forschungsarbeit am BiB dazu beigetragen, die Pandemie besser verstehen zu lernen?

In den ersten Wochen der Pandemie hat das BiB Informationen für die Bundesregierung bereitgestellt, deren Ziel es war, sich schnell ein differenziertes Lagebild zu verschaffen und die Auswirkungen der Pandemie auf die Bevölkerung besser einschätzen zu können. Später richtete sich der Fokus auf die Auswirkungen der Pandemie auf Familien und darauf, an der Erarbeitung von Prognosemodellen zur Auslastung der Intensivbetten mitzuwirken. Das BiB war eines der ersten Forschungsinstitute in Deutschland, die zu den sozialen Folgen empirische Umfragedaten vorlegen konnten. Zwischenzeitlich wurden in mehreren vom BiB durchgeführten Surveys Daten erhoben, die in den kommenden Monaten präsentiert werden können.

Der neu erschienene Demografiebericht des BiB fokussiert sich vornehmlich auf die Bevölkerungsentwicklung zwischen 2010 und 2020. Was waren die wichtigsten demografischen Trends in dieser Zeit?

Die am wenigsten erwartete Entwicklung war wohl der deutliche Anstieg der Bevölkerungsgröße, ganz entgegen dem damals vorhergesagten Trend. Anders als vor zehn Jahren erwartet hat sich auch die Binnenwanderung zwischen Ost- und Westdeutschland entwickelt, zugunsten der ostdeutschen Regionen. Der Anstieg der Zuwanderung war in diesem Umfang ebenfalls so nicht angenommen worden.

In Deutschland wird oft ein düsteres Bild von der demografischen Zukunft gezeichnet. Ist diese latente Furcht berechtigt?

Deutschland steht weiterhin vor enormen demografischen Herausforderungen. Aber bei richtiger politischer Steuerung sind diese zu bewältigen. Es besteht nach meiner Auffassung gegenwärtig kein Grund für demografisch begründete Bedrohungs- oder gar Untergangsszenarien.

Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?

Der oft zitierte Fachkräftemangel. Es stimmt, die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird deutlich abnehmen. Aber die Zahl der von den Erwerbstätigen erbrachten Arbeitsstunden wird auch in den kommenden Jahren kaum zurückgehen, da die Menschen länger arbeiten, pro Kopf mehr Arbeitsstunden erbringen und der Anteil der Erwerbstätigen im erwerbsfähigen Alter gestiegen ist, vor allem infolge der größeren Erwerbsbeteiligung der Frauen.

Die Alterung der Bevölkerung ist hierzulande ein beständiger Trend. Steuern wir auf eine Seniorenrepublik zu?

Alterung ist ein zentraler Trend der demografischen Entwicklung. Ein Trend, der weder durch Zuwanderung noch durch einen Geburtenanstieg gestoppt werden kann. Gegenwärtig ist die Hälfte der Bevölkerung älter als 45 Jahre und dieses Medianalter wird noch weiter auf etwa 48 Jahre ansteigen. Der entscheidende Trend der kommenden etwa 15 Jahre ist die Verrentung der Babyboomer-Generation, also der geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1970. Was hier jedoch vor allem auch Hoffnung machen kann, ist der Umstand, dass diese Menschen im Vergleich zu früheren Generationen gesünder, aktiver und leistungsfähiger sind. Wenn es gelingt, der ausgeprägten sozialen Teilhabebereitschaft dieser Menschen gesellschaftlich Raum zu geben, kann auch diese demografische Entwicklung bewältigt werden.

In Deutschland leben so viele Menschen wie nie zuvor und trotzdem gibt es zahlreiche Regionen mit Bevölkerungsrückgängen. Müssen demografische Entwicklungen viel kleinräumlicher untersucht werden?

Regionale Vielfalt kennzeichnet die demografische Entwicklung seit jeher. Was die Bevölkerungs­forschung heute besser versteht als vor einigen Jahren, ist, dass es wenig Sinn macht, allein durch hoch aggregierte Indikatoren die demografische Entwicklung abbilden zu wollen. Wenn wir beispielsweise sagen, die Bevölkerung Deutschlands altert, so ist dies zutreffend. Auf der Ebene der 401 Verwaltungskreise können wir jedoch sehen, dass eine beträchtliche Zahl dieser Kreise gerade eine gegenläufige Entwicklung nimmt, während manche Kreise moderat und wieder andere extrem stark altern. Demografie entscheidet sich häufig auch vor Ort und stellt eine Herausforderung dar, die nicht nur bundes- und landespolitisch, sondern vor allem auch kommunalpolitisch beeinflusst werden kann.

Hintergrund

Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) hat zum Ende der 19. Legislaturperiode sein dreiteiliges Demografie-Résumé veröffentlicht: querschnittlich, wissenschaftlich und digital.

Demografische Fakten des BiB

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