Pressekonferenz Datenreport 2021 • 11.03.2021Mehr soziale Ungleichheit in Corona-Zeiten
Die Corona-Pandemie verstärkt bereits bestehende soziale Ungleichheiten in Deutschland. Somit wirkt sie sich nachhaltig auf das Wirtschafts- und Arbeitsleben aus. Dies geht aus den Analysen des aktuellen Datenreports 2021 hervor. Er wird veröffentlicht von der Bundeszentrale für politische Bildung zusammen mit dem Statistischen Bundesamt (Destatis), dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sowie 2021 erstmals vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB). Einige Befunde des Reports wurden im Rahmen einer Online-Pressekonferenz am 10. März 2021 vorgestellt.
Corona beeinflusst die Lebenschancen ungleich
Zu den Kernthemen des Datenreports gehören soziale Ungleichheiten, betonte Dr. Philip Wotschack (WZB) bei der Vorstellung des Reports. Im Mittelpunkt stehen dabei Fragen nach der Einkommensungleichheit und dem Armutsrisiko in Deutschland und wie sie die Lebenschancen der Menschen beeinflussen. Besonders problematisch ist dabei, dass Haushalte, die einmal unter die Armutsgrenze gerutscht sind, immer öfter und auch länger darunter verbleiben, sagte Dr. Wotschack. Hinzu kommen die Folgen der Corona-Pandemie, die sich gerade bei den untersten Bildungs- und Einkommensgruppen auswirken. So waren zum Beispiel die untersten Einkommensgruppen häufiger von Freistellungen und Arbeitslosigkeit betroffen und mussten häufiger vor Ort arbeiten.
Ungleiche Bildungschancen existieren weiterhin
Der Präsident des Statistischen Bundesamtes, Dr. Georg Thiel, wies darauf hin, dass die Unterschiede bei den digitalen Voraussetzungen in den Familien zu Beginn der Corona-Krise sich auf die Bildungschancen auswirken. So haben Kinder, die leichter Zugang zu technischen Geräten haben, einen Vorteil beim Erwerb digitaler Kompetenzen. Zudem hat sich unabhängig von der Pandemie gezeigt, dass der Bildungserfolg von Kindern in Deutschland nach wie vor stark von ihrer sozialen Herkunft abhängt, weil die Schulwahl stärker als in anderen Ländern durch den familiären Hintergrund bestimmt wird.
Corona verändert die Nachfrage nach amtlichen Daten
Darüber hinaus hat die Krise die amtliche Statistik vor ganz neue Herausforderungen gestellt, wie etwa die Auswertung von Mobilfunkdaten, mit denen sich zeigen lässt, wie sich die Mobilität der Menschen in der Pandemie verändert hat. So ging im ersten Lockdown im März und April die Mobilität schlagartig um bis zu 40 Prozent zurück, während im zweiten „harten Lockdown“ ab Mitte Dezember die Mobilität weniger abrupt sank, nämlich nur um bis zu 30 Prozent, sagte Dr. Thiel.
Mehr Homeoffice durch Corona
Dass sich die Anteile beim Arbeiten im Homeoffice im Zuge des Corona-Geschehens deutlich erhöht haben, betonte der stellvertretende Direktor des BiB, PD Dr. Martin Bujard. So arbeiteten nach Daten des Mikrozensus 2018 12 Prozent der Beschäftigten einen Tag pro Woche und 5 Prozent überwiegend im Homeoffice. Mit dem ersten Lockdown kam es hier zu einem gravierenden Wandel. Im Frühjahr 2020 arbeitete fast 30 Prozent aller aktiv Erwerbstätigen überwiegend im Homeoffice. Trotz dieses Booms partizipieren aber nicht alle Berufe gleichermaßen. So ist für mehr als die Hälfte der Beschäftigten das Arbeiten im heimischen Arbeitszimmer überhaupt keine praktikable Option, so Dr. Bujard.
Zu beachten ist auch, dass es bei der Gruppe, die im Homeoffice arbeitet, meist um Besserverdienende geht. Wie aus dem Datenreport hervorgeht, ist bei Berufen im unteren Drittel der Einkommensverteilung der Anteil der Homeoffice-Nutzung besonders niedrig. Bei den Berufen im oberen Einkommensdrittel arbeiten fast zwei Drittel in Berufen, bei denen Homeoffice verbreitet ist. Somit sind hier die sozialen Ungleichheiten enorm, da vor allem Besserverdienende davon profitieren.
Theoretisch egalitär – praktisch traditionell
Hinsichtlich der Geschlechterrollen haben egalitäre Einstellungen traditionelle verdrängt, wie aus dem Datenreport hervorgeht. Wiesen 1991 noch 28 Prozent der Bevölkerung traditionelle Denkmuster auf, ist dieser Anteil bis 2018 auf 11 Prozent gefallen. Trotzdem unterscheiden sich die familiären und beruflichen Aufgaben nach der Familiengründung stark zwischen den Geschlechtern, sagte BiB-Wissenschaftlerin Dr. Uta Brehm. Noch immer werden rund 90 Prozent der Elternzeitmonate von Müttern genommen und die steigende Erwerbsbeteiligung von Müttern geht fast ausschließlich auf Teilzeit zurück.
Diese Arbeitsteilung hat unmittelbare Auswirkungen auf die kurz-, mittel- und langfristige finanzielle und berufliche Lage von Müttern und ihr berufliches Prestige, betonte Dr. Brehm. Sie wies darauf hin, dass das Berufsprestige von zweifachen Müttern nach ihrer Familiengründung nahezu gänzlich stagniert. Dies steht im Gegensatz zu einerseits ihrem zuvor positiven Karriereverlauf und andererseits zur Karriere kinderloser Frauen und Männer sowie Vätern, die vom Berufseinstieg bis zum 45. Lebensjahr im Schnitt jeweils etwa 4 Prestigepunkte aufsteigen.
Datenreport gegen Wissenschaftsskepsis
Insgesamt geben die Befunde des Datenreports erste Aufschlüsse über zentrale Punkte des Einflusses der Pandemie auf verschiedene Bereiche, sagte der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Dr. Thomas Krüger. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Einstellungen zu demokratischen Werten sowie die politische Partizipation, die weiterhin der Aufmerksamkeit bedürfen. Der Report bietet hier mit seinen Fakten und seinem Einordnungswissen gewissermaßen die Möglichkeit zum Faktencheck – und ist somit ein Mittel gegen grassierende Demokratie- und Wissenschaftsverachtung, betonte Dr. Krüger.