Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

3 Fragen, 3 Antworten • 27.08.2020Ausbau der Kinderbetreuung und soziale Ungleichheit

Im Nachbarland Belgien bekommen im Gegensatz zu Deutschland höhergebildete Frauen etwa ähnlich viele Kinder wie Personen mit mittlerer und geringer Bildung. Hängt dies mit dem Ausbau der Kinderbetreuung zusammen?

Über einen langen Zeitraum wurde in den hochentwickelten Ländern ein negativer Zusammenhang zwischen dem formalen Bildungsniveau von Frauen und deren Kinderzahl beobachtet. Dies galt insbesondere für die Gruppe der Akademikerinnen. Neuere Studien kommen zu dem Schluss, dass sich in den letzten Jahren in einigen Ländern ein Wandel andeutet. Dies gilt etwa für Belgien, das zu den ersten Ländern gehörte, in denen sich Veränderungen gezeigt haben. Welche Ursachen hinter dieser Entwicklung stecken, erläutert der Mitautor der Studie, Dr. Sebastian Klüsener.

Herr Dr. Klüsener, Sie haben festgestellt, dass sich in Belgien bei der Geburtenentwicklung der höhergebildeten Frauen ein Wandel vollzogen hat. Diese bekommen heute wieder ähnlich viele Kinder wie Frauen mit mittlerer und niedriger Bildung. Worin liegen die Ursachen für diese Entwicklung?

Obwohl Belgien ein hoch entwickeltes und dicht besiedeltes Land ist, werden dort mit etwa 1,7 bis 1,8 Kindern pro Frau relativ hohe Geburtenzahlen registriert. Dabei verzeichnen im Gegensatz zu Deutschland auch hochgebildete Frauen ein relativ hohes Geburtenniveau. Unsere Befunde deuten darauf hin, dass diesbezüglich Belgiens Vorreiterposition beim Ausbau der Kinderbetreuung über die letzten Jahrzehnte eine Rolle spielen könnte. In unserer Studie haben wir den Übergang zum zweiten Kind untersucht. Dabei haben wir festgestellt, dass dieser Übergang bei hochgebildeten Frauen in belgischen Gemeinden mit gut ausgebauter Kinderbetreuung deutlich schneller erfolgt als in Gemeinden mit schlecht ausgebauter Kinderbetreuung. Bei Frauen mit mittlerer Bildung war dagegen ein deutlich geringerer positiver Zusammenhang und bei Frauen mit niedriger Bildung gar kein Zusammenhang auszumachen. Dies unterstützt Befunde, dass gerade Hochqualifizierte vom Ausbau der Kinderbetreuung zu profitieren scheinen.

Welche Rückschlüsse lassen sich aus Ihren Ergebnissen für Fragen der sozialen Ungleichheit ziehen?

Soziale Ungleichheit kann in verschiedensten Formen auftreten. Hinsichtlich der Zahl der geborenen Kinder scheint der Ausbau der Kinderbetreuung in Belgien bisher dazu beigetragen zu haben, Ungleichheit zwischen den Bildungsgruppen zu reduzieren. In den letzten Jahren sehen wir aber die Tendenz, dass das Geburtenniveau der höherqualifizierten Frauen sogar über jenes der Frauen mit mittlerer und niedriger Bildung hinaussteigt. In diesem Fall würden positive Auswirkungen der Kinderbetreuung auf das Geburtenverhalten höherqualifizierter Frauen dazu beitragen, dass sich bei der Kinderzahl die Ungleichheit zwischen den Bildungsgruppen erhöht. Daneben kann Kinderbetreuung aber auch ganz anders auf soziale Ungleichheit wirken. Dies gilt etwa für den Zugang zu frühkindlicher Bildung. So kann sich der Zugang zu Kinderbetreuung für Kinder aus benachteiligten Schichten förderlich auf deren Entwicklung auswirken und damit sozialer Ungleichheit entgegenwirken. Dies erfordert allerdings, dass diese Gruppen guten Zugang zu Betreuungsangeboten haben und bestehende Möglichkeiten auch nutzen. Hier scheinen in Belgien Probleme zu bestehen. Bei deren Behebung könnte die stärker integrierende skandinavische Vereinbarkeitspolitik ein Vorbild sein.

Wie ist diesbezüglich die Situation in Deutschland?

Angesichts des weiterhin niedrigen Geburtenniveaus von Akademikerinnen trägt in Deutschland der Ausbau der Kinderbetreuung aktuell noch eher zu einer Reduzierung der Ungleichheit zwischen Bildungsgruppen hinsichtlich der Kinderzahl bei. In den letzten Jahren ist aber das Geburtenniveau der Akademikerinnen angestiegen, was anscheinend mit den familienpolitischen Reformen der letzten 15 Jahre zusammenhängt, welche eine höhere Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern. Insofern ist nicht auszuschließen, dass wir auch in Deutschland in der Zukunft in eine Situation kommen könnten, in welcher der Ausbau der Kinderbetreuung bei der Kinderzahl eher zu einer Erhöhung der sozialen Ungleichheit zwischen den Bildungsgruppen beiträgt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in benachteiligten Schichten wirtschaftliche Unsicherheit als Faktor für die Aufschiebung von Geburtenentscheidungen an Bedeutung gewinnt. Diese Aspekte benötigen andere Lösungsansätze als die Vereinbarkeitsproblematik, welche viele höhergebildete Personen berührt. Diese Vielschichtigkeit sollte bei der Konzeption von Familienpolitiken, welche möglichst viele Bevölkerungsteile unterstützen möchten, berücksichtigt werden.

Wood, Jonas; Klüsener, Sebastian; Neels, Karel; Myrskylä, Mikko (2020): Shifting links in the relationship between education and fertility. In: Population, Space and Place.

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