Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Interview zu Artikel in „Demography“ • 21.02.2019Historischer Geburtenrückgang in Schweden: Eliten, Städte und Migranten als Vorreiter

3 Fragen – 3 Antworten. Forschungsdirektor Dr. Sebastian Klüsener erläutert im Interview die Erkenntnisse seiner Studie.

Dr. Sebastian Klüsener Dr. Sebastian Klüsener, Leiter des Forschungsbereichs Demografischer Wandel und Alterung Quelle: BiB

Warum beschäftigen Sie sich mit diesem speziellen Thema?

Wir haben bisher noch ein sehr begrenztes Verständnis davon, wie gesellschaftlicher Wandel entsteht und sich in einer Gesellschaft sozial und räumlich ausbreitet. Dieses Verständnis wäre sehr hilfreich, um etwa zukünftige Wandlungsprozesse besser prognostizieren zu können. Der historische Geburtenrückgang in Europa als Teil des so genannten demografischen Übergangs bietet sich aus zwei Gründen für Grundlagenforschung zu diesem Thema besonders gut an. Erstens ist der Wandel durch die ausbleibenden Geburten sehr klar erfassbar. Andere Einstellungsänderungen wie etwa zur Stellung von Frauen in der Gesellschaft sind schwieriger zu ermitteln. Zweitens unterliegen historische Bevölkerungen geringeren Datenschutzbestimmungen. So hatten wir für die Forschung Zugang zu umfangreichen Individualdaten für sämtliche Bewohner Schwedens inklusive Beruf und Wohnadresse für die Jahre 1880, 1890 und 1900.

Was hat Sie an Ihren Ergebnissen besonders überrascht?

Frühere Studien hatten bereits aufgezeigt, dass die Eliten und die Stadtbevölkerung häufig Vorreiter des Geburtenrückgangs waren. Unter Eliten verstehen wir in unserer Studie Personen in gehobenen beruflichen Positionen. Überraschend war, wie stark sich die räumlichen Muster des Rückgangs nach dem sozialen Status unterschieden. Bei den Frauen von in der Landwirtschaft Beschäftigten und von Arbeitern konzentrierten sich die Geburtenrückgänge in dieser frühen Phase des Geburtenrückgangs stark auf die frühen räumlichen Zentren. Hierzu zählten unter anderem die Städte Stockholm und Malmö und deren unmittelbare Umgebung.

Die Eliten verzeichneten dagegen bereits in allen Teilen Schwedens starke Geburtenrückgänge, wobei das räumliche Muster ausgeglichener war. Dies ist im Einklang mit Theorien, dass es den Eliten zumindest in historischen Zeiten im Vergleich zu anderen sozialen Schichten deutlich leichter fiel, raumüberwindend zu kommunizieren. Dadurch spielten Mitglieder der Eliten oft eine Schlüsselrolle in der räumlichen Ausbreitung sozialer Wandlungsprozesse. Daneben konnten wir auch Personen als Vorreiter im Prozess identifizieren, die nicht mehr in ihrem Geburtsort lebten. Dies galt insbesondere für Zugewanderte aus Ländern, in welchen der Geburtenrückgang früher als in Schweden begonnen hatte. Hierzu zählt zum Beispiel Frankreich.

Inwieweit können diese Erkenntnisse auf die heutige Zeit übertragen werden?

Globale Migrationsnetzwerke, große Städte und Eliten spielen auch heute noch bei der Entstehung und Ausbreitung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse eine wichtige Rolle. Bei den Eliten trägt dazu unter anderem bei, dass sie häufig in Schlüsselpositionen sitzen. Dort können sie bestimmte Wandlungsprozesse etwa durch Gesetzesänderungen oder die Markteinführung technischer Innovationen fördern.

Allerdings führt das Internet dazu, dass die Eliten ihren lange Zeit bestehenden klaren Vorteil bei der raumüberwindenden Kommunikation tendenziell verlieren. War etwa ein Anruf ans andere Ende der Welt noch vor wenigen Jahrzehnten mit hohen Kosten verbunden, so ist er heute in der Regel keine Kostenfrage mehr. Wenn die dynamische Entwicklung von Übersetzungsprogrammen sich in den nächsten Jahren fortsetzt, werden in der Zukunft selbst Sprachbarrieren kein Hindernis mehr darstellen. Auch bezüglich der Überwindung von Sprachbarrieren hatten die Eliten in der Vergangenheit einen Vorteil. Insofern kann erwartet werden, dass Mitglieder der Elite in der Zukunft eine weniger zentrale Rolle bei der räumlichen Ausbreitung von Einstellungsänderungen spielen werden. Dies hat potenziell auch Auswirkungen auf politische Meinungsbildungsprozesse.

Die Fragen stellte die Internetredaktion des BiB.

Studie: Klüsener, Sebastian; Dribe, Martin; Scalone, Francesco (2019): Spatial and social distance at the onset of the fertility transition: Sweden, 1880–1900. Demography (First Online)

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